memories cascading: ein der Forschungsliteratur zu Postmemory oder transgenerationeller Traumatisierung entnommener Begriff. Was Kinder unbewusst von Eltern übernehmen, betrifft nicht nur Gefühle, Gefühlsstrukturen und Habitus, sondern kann Träume und Ängste generieren und zur Entwicklung körperlicher Symptome führen. Manchmal, wenn ich von meinem Romanprojekt erzählte, antworteten mir Freunde oder Bekannten, dass sie manchmal Träume träumten, die sie dem Leben eines ihrer Elternteile zuordnen könnten. Begleitet von irrationalen Ängsten vor Hunger, Schnee oder Regen, davor, dass ein Geschwisterkind sterben könnte, vor Donner und Blitz. In manchen Wochen sei das intensiv, in anderen verschwinde es zur Gänze.
Das Phänomen ist bekannt, doch wenig erklärt. Memories cascading – Erinnerungen, die wie Wasser, mit Druck, durch den Kopf rauschen, dabei fallen und verharren, wieder fallen, scheint mir ein gutes Bild dafür. Ein unwillkürlicher Prozess – Fall und Weiterfall des Falles, Flüchtling gewesen zu sein.
In den 90er Jahren kannte ich einen amerikanischen Dichter, der, obwohl er erst in seinen 40ern war, starke, bis zur Lähmung führende Rückenprobleme bekam. Als ich ihn ein halbes Jahr später wiedertraf, ging er aufrecht und erzählte, dass die Ursache nach langen aufwendigen Untersuchungen herausgefunden worden sei: er hinke, obwohl es keinerlei anatomische oder andere eigenkörperliche Gründe dafür gebe. Sein Vater allerdings habe auf Grund einer Kriegsverletzung auf dem linken Bein gehinkt – mein Bekannter hatte als Kleinkind diese Gangart übernommen, weil er es für die einzige Weise hielt, sich durch die Welt zu bewegen. Sein Hinken war dabei so unsichtbar geblieben, dass es nie bemerkt wurde – nur sein Bewegungsapparat hatte darunter gelitten.