Archives for Großvater

Es spricht: Jennifer

Boris, den Ausdruck abgeklärter Geduld im Gesicht, den er sich während meiner Pubertät zugelegt hatte, schaute mich nur an. Müde und – vergnügt. Dann begann er zu reden, als wäre nichts, unversehens kam die ebenfalls abgebildete Grolmanntochter ins Spiel, er betrachtete das Foto eingehend, und seine Stimme wurde wärmer und wärmer, und je wärmer sie wurde, umso elender fühlte ich mich. Da war es, das ungeheuerlich starke und schmerzhafte Band. Seelenband! Haben das alle Kinder und Eltern zwischen sich? Mit 14 hatte ich es zum ersten Mal als etwas wahrgenommen, was eine grausame Macht, die sich nicht im Geringsten um
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Es spricht: Esther

Das Arrangement brachte uns über die nächsten Wochen. Ende November fiel Stach die Stufen an seiner Haustür hinauf. Hinauf, nicht hinunter. Stufen. Exakt zwei. Hundertausendmal war er über sie gestiegen. Er hatte in den Briefkasten sehen wollen, brach sich den linken Unterschenkel, verstauchte sich die linke Hand und befand sich im Krankenhaus, als ich davon erfuhr. Mercedes hatte ihn gefunden. Er war nicht im Regen gelegen und hatte sich nicht erkältet, obwohl er stark unterkühlt war, als man ihn abtransportierte. Erstaunlich rosig lag er, frisch operiert, im Krankenbett. Ein offener Bruch. Die Ärzte befürchteten Infektionen. Großvater hing am Tropf. Man
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Ehre

Ehre: oft aus dem Mund meines Großvaters gehört. Offensichtlich wichtig. Für Männer und Frauen auf sehr unterschiedliche Weise definiert. Diffus, starken Veränderungen unterworfen. Hilfreich zum Thema fand ich Peter Sloterdijks 2006 erschienenen politisch-psychologischen Essay Zorn und Zeit, in dem Sloterdijk versucht, (männliches) Leben nicht im Zeichen des sexuellen Paradigmas, unter dem es heute steht, sondern im Definitionskontext göttlich in den Kämpfer eingegossenen Zorns und der ihn regelnden Moral- und Verhaltensvorstellungen, Werte und Tabus („Ehre“) vorstellbar zu machen.
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Kuckucksuhr

die Kuckucksuhr: Was haben Autoren und ihre Figuren miteinander zu tun? Beantworten kann das keiner, aber Geschichte lassen sich dazu erzählen. So auch diese: als Kind schlich ich manches Mal nachts in die Diele zwischen dem Schlafzimmer meiner Eltern, meiner Schwester und dem meinen, und hielt die Kuckucksuhr an. Hatten die anderen keine Ohren? Wie konnten sie dieses Rufen ertragen, diesen Vogel, der so gnadenlos die Stunden wegschrie? Im Wald mochte ich ihn, auch wenn mein schlesischer Großvater meinte, an der Zahl der Rufe die Jahre ablesen zu können oder zu müssen, die ihm zum Leben noch blieben. Die Uhr
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