Halka erzählt aus Wrocław Die neue Person, die auf der Bahnfahrt geschlüpft war, wuchs und wuchs. Sagt wer? Still und beharrlich? Schubweise? Ständig, sage ich der Erinnerung. Leszek kam kaum mehr aus der Universität zurück; er schien sich wohlzufühlen, jedenfalls besser als die Jahre zuvor. Grazyna hingegen verließ die Wohnung immer seltener, kochte und buk immer mehr. Jeden dritten Tag tischte sie nun selbstgemachte Piroggen auf, Weißkäse konnte man um die Ecke in einem der ersten kleinen Läden kaufen, Pilze, die es kaum oder nur getrocknet gab, ersetzte sie durch Zwiebeln und Kraut. Je länger wir blieben, umso ostpolnischer wurde
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Archives for Zug
Zugfahren (3)
Halkas erster Morgen in Wrocław, Ende Mai 1945 Sonnenstrahlen brachen durch die Ligusterhecke, Vögel warfen sich aus der halb verbrannten Kastanie ins Gebüsch. Ein weißes Netz Tau lag auf den Grashalmen, in der diesigen Luft hingen Rauchwolken. Sie zogen Richtung Westen, Richtung Westen blase der Wind hier am liebsten, hatte der Junge gestern Abend gesagt. Sein Wachplatz am Gartentürchen war leer. Egal. Die niedergebombte, staubige Stadt, das Ziel von drei Wochen Fahrt – eine Enttäuschung, egal. Trotzig und deutsch, Trümmerwelt. In Trümmerwelten schien die Sonne, das lernte ich rasch, gnadenlos, ihr Licht vermehrte sich tausendfach an den Partikeln der Luft,
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Zugfahren (1)
Simone denkt an Eustachius Typisch. Stets in Bewegung, der Mann, selbst wenn er saß, und er wollte viel sitzen, weil so die Bewegung gezähmt war, er liebte es, an einem festen Punkt zu verharren, während er sich bewegte, also fuhr er mit dem Auto zu seinen Kongressen, während in der Bahn alles in ihm nur noch stärker in Unruhe geriet, er im Zug auf und ab lief, obwohl sich der Zug ohnehin bewegte, die Mitreisenden bemerkten es natürlich und sahen ihm die mangelnde Sesshaftigkeit an. Wir Kinder hatten das nicht, „wenigstens haben die Kinder das nicht“; man verbot uns das
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