Europa
Mit einem Mal sah ich sie überall, diesen eckigen, gute hundert Jahre alten Uhrsäulen und Uhrtürmchen, sah sie vor Rathäusern, sah sie auf den Märkten, die ich ebenfalls überall fand – in Städten und Städtchen als Rynek, als Ring. Erinnerte mich an alte Photographien aus Berlin, Potsdamer Platz – die Uhr. Gewiss, von Ostmitteleuropa vor den Kriegen hatte ich vielfach gelesen und es bewundert: ein multikultureller Raum, sprachliche, ethnische und religiöse Vielschichtigkeit, niemals einfach, aber gelebt. Vor den Uhren spürte ich dieses zerstörte, aber nicht ganz verschwundene Europa, begriff körperlich-räumlich, was für Ideen und Möglichkeiten es für heute bereithält. Ein Schatz – jenseits des noch immer durch unsere Köpfe spukenden Ost-West-Denkens. Eine Lebenstradition, über Grenzen hinweg, an die wir anknüpfen könnten, um „europäische Identität“ zu füllen, die an ihrer eigenen Abstraktheit wie an ihrem Herkommen aus dem Kommerz leidet. In unserer Welt immer noch zunehmender Berufs-, Liebes- und Notmigrationen werden wir sie brauchen.