Als ich an einem dieser Junimorgen am Teich den Kopf hob, stand schräg vor mir ein Wolf. Das Fell um seinen Kopf wölbte sich wie ein Kragen, grau, braun und weiß; geschmeidig wirkte er, fast füchsisch. Die Schnauze länger als bei einem Hund, die Brust schmaler, der Rist hoch, fellig, ein Grat. Er sah mir unmittelbar in die Augen und hielt mühelos meinem Blick stand. Seine Hornhaut war bernsteinfarben, die schwarze Pupille tierhaft undurchdringlich. Gewiss spürte er meinen Schrecken, ich war ein Menschenjunges, das nichts hörte, nichts roch, die Schwingungen des Bodens nicht fühlte, sich tölpelhaft überraschen ließ.
Er betrachtete mich. Das graue Haarkleid schimmerte auf der Brust rötlich. Nach ein paar Minuten drehte er elegant um, kühl mir gegenüber, nicht feindlich, mit der Überlegenheit eines Wesens, das seinen Weg kennt.
Lange sah ich, wie sein Rücken das Grün der Gräser zerteilte. Es muss der Sommer 1940 oder 1941 gewesen sein. Mein Vater kam aus Frankreich zurück. Den Polenfeldzug hatte er bereits hinter sich. Als hätte es die Angst um ihn nicht gegeben, leuchten die Nazijahre für mich. Sie waren meine Kindheit.
Boris sagte: Das Feuer am Rand meiner Welt.
Das stimmte, war indes nicht die vollständige Wahrheit. Das Feuer brannte im Kern meiner Welt, einem Kern, den ich niemandem zeigte. Niemals.
Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Eustachius erinnert sich” ist der erste von fünf Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.