Archives for Flucht

Zugfahren (1)

Simone denkt an Eustachius Typisch. Stets in Bewegung, der Mann, selbst wenn er saß, und er wollte viel sitzen, weil so die Bewegung gezähmt war, er liebte es, an einem festen Punkt zu verharren, während er sich bewegte, also fuhr er mit dem Auto zu seinen Kongressen, während in der Bahn alles in ihm nur noch stärker in Unruhe geriet, er im Zug auf und ab lief, obwohl sich der Zug ohnehin bewegte, die Mitreisenden bemerkten es natürlich und sahen ihm die mangelnde Sesshaftigkeit an. Wir Kinder hatten das nicht, „wenigstens haben die Kinder das nicht“; man verbot uns das
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Lastenausgleich

Lastenausgleich: Geldzahlung und Kreditwährung nach dem Gesetz zum Lastenausgleich, das am 1. September 1952 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft trat. Es hatte zum Ziel, Deutschen, die infolge des Zweiten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen besondere Nachteile erlitten hatten, eine finanzielle Entschädigung zu gewähren. Die Lastenausgleichsleistungen betrugen bis Ende 1982 insgesamt rund 115 Mrd. DM, waren aber damit noch nicht beendet. Als sogenannte Hauptentschädigung wurde Geld in Relation zum erlittenen Vermögensschaden für Grundstücke, Immobilien, Firmen oder Fabrikanlagen gezahlt. Auslöser für den Lastenausgleichsgedanken war das Ziel, der großen Gruppe der Vertriebenen schnell und effizient zu helfen. Das Lastenausgleichsgesetz definiert sie in §
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Kuckucksuhr

die Kuckucksuhr: Was haben Autoren und ihre Figuren miteinander zu tun? Beantworten kann das keiner, aber Geschichte lassen sich dazu erzählen. So auch diese: als Kind schlich ich manches Mal nachts in die Diele zwischen dem Schlafzimmer meiner Eltern, meiner Schwester und dem meinen, und hielt die Kuckucksuhr an. Hatten die anderen keine Ohren? Wie konnten sie dieses Rufen ertragen, diesen Vogel, der so gnadenlos die Stunden wegschrie? Im Wald mochte ich ihn, auch wenn mein schlesischer Großvater meinte, an der Zahl der Rufe die Jahre ablesen zu können oder zu müssen, die ihm zum Leben noch blieben. Die Uhr
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Kleines Vaterland, małą ojczyznę

„Heim-ge-sucht, hatte Daidanek mir beigebracht. Nun konnte ich sie sehen, Wrocławs Mildigkeit, von der Tatuś einst gesprochen hatte. Sie lag auf den Katzenköpfen nach einem Regen, umfloss die Büsche, die wieder blühten am Matthiasplatz, ...
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Rucksack der Flucht

(Polski: Bagaż – Übersetzung: Karolina Kuszyk) Karolina Kozak in einem Dörfchen vor Wrocław empfing uns, weil sie sich den Deutschen verbunden fühlte, in „deren Haus“ sie lebte. Sie empfand es noch immer so. Durch Dinge sprach sie mit mir: die alte schlesische Mohnmühle, die Bügel- und Plättvorrichtung aus grobem Holz im Schuppen, zwei dunkelgrüne Eimer mit dem Aufdruck „Schlesische Gießereien Liegnitz“. Recherchen für Romane folgen eigenen Gesetzen. Man sucht etwas, wovon man nur ahnt, was es sein könnte. In Polen fand ich die Vokabel ‚pjeroństwo‘ und ihr schlesisches Pendant ‚Pieronstwo‘ (Kram, Zeug), fand Bezeichnungen wie postniemiecki, post- oder nachdeutsch, für die Jahrzehnte,
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Erste Quellen

(Polski) Atlas Zwangsumsiedlung, Flucht und Vertreibung. Ostmitteleuropa 1939-1959, Warschau 2009 G.E.M. Anscombe, Absicht, FFM 1978 Sabine Bode, Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen, München 2005 Dies., Kriegsenkel. Die Erben einer vergessenen Generation, Stuttgart 2009 Dies., Die deutsche Krankheit – German Angst, München 2008 Julia Fischer, Affengesellschaft, Berlin 2012 Hugo Hartung, Schlesien 1944/45, Aufzeichnungen und Tagebücher, München 1976 Helga Hirsch, Entwurzelt. Vom Verlust der Heimat zwischen Oder und Bug, Hamburg 2007 Andreas Kossert, Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, München 2009 Timothy Snyder, Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München 2011 Gregor Thum, Die fremde Stadt.
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Essay (2)

Sabine Bodes vor knapp zehn Jahren erstmals veröffentlichte Interviews mit Kriegskindern, Menschen der Jahrgänge 1930 bis Anfang der 40er Jahre, die die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg mit all seinen Folgen als Kinder bzw. Jugendliche erlebten, halfen mir weiter.
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Essay (1)

Sich umzudrehen ist gefährlich. Lots Frau erstarrt zur Salzsäule. Sich umzudrehen ist schön: Wer sich dreht, sieht mehr. Liebe Hoffnung Glück. Glückliche Räume. Wie wird etwas gerade, wie rund? Wie hängt man es auf: hält es fest, erinnert sich daran, stellt es dar?
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Wegewirklichkeit

Wegewirklichkeit: für den Roman erfundenes Wort. Teil der spezifischen Erfahrungsrealität einer Flucht. Hinzukommen, bei den einen: die Kämpfe am Ende des Krieges, das Winterwetter. „Unterkommen“, bei jemandem einschlüpfen. Ausgebombt werden. Alle Wege verstellt. Hunger, Erfrierungen, Schmerzen. Umkehren? Krank sein? Zu dritt ist man aufgebrochen. Nach drei Monaten Flucht ist man nur noch zu zweit. Wegewirklichkeit? Das Glück (und die Dankbarkeit dafür), wenn es überhaupt einen Weg gibt. Bei den anderen: drei Wochen Fahrt in einem offenen Güterwaggon. Mit fremden Familien viel Gepäck, einem Pferd, einer Kuh. Bewacht von Russen. Stark bewacht. Nichts zu sehen vom Weg. Man ist blind, wird
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