Detlev Niemeier: Bis ins dritte und vierte Glied…

Geschaetzte Frau Draesner –

Dank und Handdruck für Ihre Lesung in Hamburg, die mir als
erster lebender Sohn einer Flüchtlingsmutter einmal mehr deutlich gemacht hat, das
m e i n Thema: das Tragen der Folgen der Erfahrungen der Elterngeneration (also die, die unmittelbar erlebt/erlitten haben) längst nicht – wie ich schon wähnte – auch nur annähernd von mir beackert worden sei. –

Ich bin mir höchst bewusst, inwiefern ich immer noch die unreflektierten Altlasten trage und inwieweit diese mein eigenes Leben bestimmen, vor wie nach, auch wenn ich meine, Vieles schon bearbeitet und angenommen zu haben.

Bei den ja immer lediglich Fragment bleibenden Reinigungsversuchen der Boden-Bearbeitung und -Reinigung hat schon die nächste Generation all das noch nicht Umgesetzte in sich inkarniert (sie soll ja auch noch etwas zu tun haben, sonst wäre die Welt ja zu Ende…)

Ich glaube, dass sich die erlebten Dramen mitnichten auswachsen in den nächsten Generationen; vielleicht werden sie nivelliert, ruhen, – doch irgendwann treten sie wieder zu Tage, manchmal massivst, wie ich dies erfahre in meiner Familiengeschichte, die sich wieder gesucht hat eine Partnerin aus ähnlichen Konstelllationen (Eltern Flüchtlinge).

Nehmen wir doch unsere Geschichte an, weitgehend, so wie uns dies möglich ist in Folge derer, die dies nicht vermochten, suchen wir, diese auch weiterzugeben (falls offene Ohren reif sind), denn:

die Annahme unserer Geschichte
ist ja nicht nur identitätsstiftend,
es i s t unsere
e i g e n e Geschichte!

(er-)tragen wir sie möglichst,
so wie wir dies schaffen.

(c) Detlev Niemeier, 2014

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In der Rubrik “Selbst-Erzählen” veröffentlichen wir Texte von Leserinnen und Lesern.