Wolf und Fuchs (4)

Hubertushöhe, Okt. 2005, © Ulrike Draesner

Hubertushöhe, Okt. 2005, © Ulrike Draesner

Eigentlich aber ist es der Fuchs, der zu Hannes gehört
Ein Sprung Rehe, eine Rotte Wildschweine, ein Rudel Hirsche. Ich wusste, in welchem Alter und zu welcher Jahreszeit man den Bock schießt, warum das austretende Blut Schweiß heißt, wie die Fähe aufmerkt, wie früh sie die Hunde hört. Die Männer, die ich beobachtete, trugen Hosen und Jacken in der Farbe der Bäume, Moosgeruch hing ihnen im Haar. Ich lag am Rand einer Lichtung, besser versteckt als das Wild, und sah, wie stark und empfindlich sich das Leben in allem Gejagten zu retten sucht. Zum großen Herbsthalali Wilhelms von Preußen gab man mir eine orangefarbene Strickweste, damit keiner aus Versehen auf mich schoss. Die Treiber schrien und schlugen gegen die Stämme der Buchen, feuchte Hundenasen, einen Millimeter über dem Waldboden, folgten dem Schweiß.
Herr Priebke, der Förster, schenkte mir ein Stück Hasenrücken und sagte: »Wenn du Zeit hast, schau vorbei, kleiner Fuchs.«
Ich hatte braunes, etwas rötliches Haar. Klein war ich nicht: 14 Jahre alt, 175 Zentimeter. Ich schwamm viel, meine Schultern wuchsen, die Stimme brach.
Priebke bot mir an, bei ihm in die Lehre zu gehen. Mit den Worten, die er mir beibrachte, konnte man sehen: Querco-Fagetea, Fagetalia sylvaticae. Rotbuchen warfen stärkere Schatten, Eicheln rollten unter den Schuhen. Quercus robur, Quercus petraea. Grausilbern brach die Borke der Weißtanne, Urlensamen drehten im Wind. Der Förster lachte über den Kampf meiner Zunge mit dem Latein und zeigte auf die letztjährige Kraft: In Form von Nadeln und Blättern lag sie am Boden, als farbiges Moos wuchs sie daraus hervor. Der Eichen-Hainbuchenwald. Die Stille roch nach Käfern und Pilz. Knabenkraut blühte blaulila auf langstieligen Ständen, die Große Sternmiere trieb weiße Blüten in Rispen aus einem weit gebreiteten Rhizom.
»Alles, was man sieht«, sagte Herr Priebke, »hat ein Gegengewicht in der Erde.«
Ich nickte halb abwesend, kletterte hinter ihm in den Hochsitz, hielt still, roch den Wald, das Leder der Förstertasche, das Metall des Gewehrs. Es wirkte in zwei Richtungen, so stark schlug es zurück. Auch das könne ich mir merken, sagte Priebke. Nie im Leben gäbe es einen Schlag ohne Gegenschlag.
Manche Füchse waren magisch geschützt. Wider alles Wissen und Verstehen glitten die Kugeln an ihnen ab.
In diesen Fällen, sagte der Förster, gibt man auf.
Einmal sah ich es: Er lachte, gab auf.


Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Eigentlich aber ist es der Fuchs, der zu Hannes gehört” ist der vierte von sechs Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.