Polen – Sieben Sprünge vom Rand der Welt https://der-siebte-sprung.de Ulrike Draesner Mon, 17 Nov 2014 13:17:27 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4 63645751 wulkan https://der-siebte-sprung.de/wulkan/?pk_campaign=feed&pk_kwd=wulkan Mon, 17 Nov 2014 12:17:21 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1168 ]]> © Ulrike Draesner, Polen 2012

© Ulrike Draesner, Polen 2012

wulkan

(lwiw – wrocław – berlin)

 

weißt du wie es ist wenn man
schleudert (das fallende laub) fragte er
mit weicher polnischer ruhe:
wulkan.

die lage der kanten das porzellan
sagte er alle gegenstände des hauses
erinnerten an eigene bedürfnisse: fotos
von kindstaufen eine blau träumende
kommode mit stolzierendem emaillepfau
der wein vom hochzeitsjahr

der anderen.

noch warm ihre deutschen lippen
noch auf den gläsern
der spüle. wir schämten
uns nicht des nehmens
des sehens wohl. so
kamen wir
nicht an.

wulkan.
lebensbild

hergebracht. gemälde
aller schatten an der wand
schichten aus mensch gestapelt
fruchtbar heiß, erstarrt. im eigenen
dreißig jahre auf gepackten koffern
gesessen: was fliehen
in geflohenes
heißt.

zersägten
das bett die anderen

um zu heizen den einen geretteten
sack das holzbein des toten sohns.
ich kann ihre hände sehen vater
großvater großmutter ihre nägel
sie hatten nicht alles verloren
fast noch alle teile des körpers
bei sich noch etwas seele –
vielleicht

man legt sich nieder und liebt sich
in europäischem gras. ein turm
ragt auf, aus eisen und rekonstruktion
das ist normal. eine straßenbahn
fährt. das herz wulkan
weich gegen die wände
huft in einem brüchigen
polnischen stall.

 

aus: Ulrike Draesner: Subsong, Gedichte, Luchterhand Literaturverlag.

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Wolf und Fuchs (6) https://der-siebte-sprung.de/wolf-und-fuchs-6/?pk_campaign=feed&pk_kwd=wolf-und-fuchs-6 Mon, 27 Oct 2014 14:25:51 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1129 ]]> © Ulrike Draesner

© Ulrike Draesner

Hannes, nach 25 Jahren in München
Wenn man wartet und wartet, sagte ich zu Eustachius, sitzt man irgendwann einfach nur da und nimmt wahr. Das Traumglucksen der Hühner, sagte ich, um ihm nicht vom Krieg zu erzählen, während ich an den Krieg dachte, das Fiepen der Küken, die nicht schlafen, das vereinzelte Gurren von Tauben. Hin und wieder spielt der Wind in ein paar Ästen. Ich erzählte von einer Nacht in Großmutters Stall auf dem Hof bei Netsche. Ich erzählte eine Geschichte vom Kommen, Liegen und Gehen.
Draußen quietscht ein Tor, sagte ich zu Eustachius. Man wartet auf den Fuchs, der bereits drei Hühner gerissen hat. Darf die Augen nicht offen halten, sagte ich, sonst sieht man jede Mücke, die man längst hört, und jeden Nachtfalter, den man ebenfalls hört. Man sieht den Schatten der Hühner über die Wand gleiten, wenn sie hudern, was man ebenfalls hört. Das Einzige, was man nicht hört, ist der Fuchs, wie er umherschleicht, sagte ich, um nicht an den Krieg zu denken, während ich von ihm sprach.
Du musst die Augen im rechten Moment öffnen, sagte ich, und er, beim ersten Erzählen noch ein Kind, fragte: »in seinem oder deinem?«, worauf ich keine Antwort wusste, erst später, im Krieg in Polen, begriff ich, dass der rechte Augenblick jener war, in dem dieser Unterschied verschwand.
Schau, sagte ich zu Eustachius, wie vorsichtig er die unsichtbaren Fallen umgeht und auf einem Brett balancierend beginnt, am eigens für ihn aufgestellten Gänseschmalz zu schmatzen. Das ist so laut, dass er selbst nichts mehr hört. In diesem Augenblick kannst du dich bewegen, das Gewehr entsichern und dich in Position bringen.
Ich lernte von diesem Fuchs, sagte ich zu Eustachius, dass man im Kampf keine zweite Chance hat. Ich saß bei Oma im Stall, sagte ich, am falschen Ort, er roch mich und strich die gesamte Nacht nur vorbei und vorbei. In der dritten Nacht kam er in die Wärme zu den Hühnern und mir, und als ich abdrückte, war das Gewehr nicht mehr scharf. Ich hatte es geladen, den Schuss kontrolliert und nicht nachgeladen. Er verschwand, ich wartete. Mittlerweile hatte ich die Verbindung zu ihm verloren, und als er zurückkehrte und ich schoss, erwischte ich ihn, ohne ihn zu töten.
Noch am Ende meiner letzten Jagd, als ich längst nicht mehr reiten konnte, humpeln nur am Stock, jeder Jagd abgeschworen hatte, glaubte ich, die Lunte dieses Fuchses zu sehen, rot der Pelz, die Blume weiß, wandelnd, erhoben, eine Blüte auf blutfarbenem Stängel – und wir beide, der Fuchs und ich, der Leisetreter und der Eisenmann, lebendig und jung.

Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Hannes, nach 25 Jahren in München” ist der letzte von sechs Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.

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BGK: Zwei Breitengrade Südsüdost. https://der-siebte-sprung.de/bgk-zwei-breitengrade-suedsuedost/?pk_campaign=feed&pk_kwd=bgk-zwei-breitengrade-suedsuedost Mon, 30 Jun 2014 10:49:00 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=581 ]]> Zu Ulrike Draesners Roman Sieben Sprünge vom Rande  der Welt

Rubrik ‚Selbst Erzählen’. von BGK, 2014

 

 „Wo – wo sind wir zuhause?“ (Simone Grolmann)

 

    Ich bin irgendwo zwischen dem dritten und vierten der Sieben Sprünge vom Rand der Welt, als es an der Haustür klingelt, und die Nachbarin, eine rüstige Frau in ihren späten Achtzigern, mir einen Teller mit Streuselkuchen bringt – nicht selbst gebacken, nein, viel besser, von einer Reise mitgebracht aus der Gegend um Wrocław. Sie haben doch mal erzählt, Ihre Mutter kommt von dort. Ich stehe in der offenen Tür, schaue auf den Kuchen und bin konsterniert über dieses merkwürdigen Zusammenspiel, das man Zufall nennt; ein viel zu schwaches Wort für das, was sich hier mal wieder abspielt, finde ich. Klingt mir doch seit der ersten Seite das Stresla in den Ohren, verschwindet nicht, wird immer vielstimmiger. Stresla. Schmecken nach guter Butter, Vanille, Zimt und einer schnellen Sprache, in der alles auf a endet. Auch in meiner Kindheit gab es schlesisches Großelternwohnzimmer im Hochparterre. Dort saß man, wenn die Familie zusammenkam, auf Sofa, Sesseln, Sessellehnen, auf allem, worauf man sitzen konnte im sozialen Wohnungsbau der 1950er Jahre. Ferne frühe Familienfeiern. Feiern einer Fluchtfamilie. Der Streslakucha kommt nicht aus einem Backofen in Strehlen/Strzelin, sondern aus einem in Bielefeld. Flüchtlingsstrom entlang der Breitengrade 51/52, 600 km Luftfluchtlinie, Westnordwest.

Wenn die Großeltern ihrer Mundart freien Lauf lassen, stimmen ihre Kinder mit ein. Keine zehn Jahre waren sie alt, als sie Schlesien hinter sich ließen mit Tisch und Bett, Boden und Luft. Der Klang flüchtete mit ihnen. Er brauchte kein Extrabündel, er saß fest im Gewebe von Kehle, Ohr und Mund, und doch zerrte er sich auf, verflüchtigte sich mit der Zeit. Gut so, denn die Flüchtlingssprache machte es ihnen nicht leichter in der Schule.  Wie sprechen die denn? fragen die  Mitschüler und rücken auf der Bank mehr zur Seite als sie müssen. Man hatte ihnen erzählt, in Schlesien hause man in Erdlöchern, sagt meine Mutter. Drei-viermal im Jahr läßt er sich wieder einfangen dieser Klang. Dann lassen meine Mutter und ihre Brüder die Zungen tanzen im Stresla-Fest, ziehen sich gegenseitig hinein in Kaskaden mit kurzem a und langem i, in Wörter, von denen sie gar nicht wissen, daß sie sie verstehen, daß sie sie sagen können. Die Kleinen, die westfälisch sprechen und norddeutsch, werden still. Sie sperren die Ohren und Augen weit auf und genießen das Schauspiel. Komische fremde Welt. Großfamilienfestsprache für Große. Wohnzimmersprache. Lachsprache. Eine Sprache, die immer schneller wird und wilder, die unbändiges Lachen mit sich bringt, ein Lachen, wie es sonst nie gelacht wird.  Die Augen werden ganz schmal, die Körper beben, die Tränen laufen die Wangen hinunter. Die Stimmen verausgaben sich in der Freude über ein wiedergefundenes Idiom; nicht das der Ausgegrenztheit, der Erdhöhle, sondern das der Welt, in der man jung gewesen ist, geheiratet hat, das Goldschmieden gelernt hat, das Kochen, das Nähen und den Verkauf von Stoffen. In der die Kinder geboren wurden, man sonntags am Ring promenierte, in der man das Radfahren gelernt hat und das Skifahren auf Gurkenfaßbrettern. In der es Mohnskließla gab  in der Heiligen Nacht. Aber davon ist hier nicht die Rede. Hier wird erzählt von dem Leben, wie es jetzt ist. Vom Handel mit Töpfen und Kravatten auf den westfälischen Märkten, vom Paddeln auf der Weser, von den bunten Geschöpfen einer Hafenstadt, die sich das Tor zur Welt nennt. Ganz im Jetzt und ein bißchen im Morgen. Kein Gestern. Das Schlesische ist nicht ihr Gegenstand, es ist ihr  Medium. Von Heimat ist nicht die Rede und nicht von Landschaft. Arm waren sie und haben nicht viel zurückgelassen an beweglichen und unbeweglichen Gütern. Haben sie überhaupt zurückgeschaut? Wo haben sie ihre Erinnerungen gelassen? Weggeschraubt in den alten Keks- und Kaffeedosen, die oben auf dem Schrank stehen?

Meine Mutter hat nie gesprochen von  Wiesen, Feldern, Flüssen und Bäumen und Bergen. Nur den Schnee gibt es. Meterhoch, sagt sie, meterhoch zu beiden Seiten. So seien sie zur Christmesse gegangen zu Weihnachten, auf einem schmalen Pfad. Schnee war lange Zeit das einzige Bild, das ich von der Heimat meiner Mutter hatte. Ein weißer Fleck Familiengeschichte. Als meine Schwester, die einen polnischen Mann geheiratet hat, von einer Reise zurückkam, in der sie das Geburtshaushaus meiner Mutter aufgesucht hatte,  brachte sie ein Photo mit, das auf der Rückseite dieses Hauses eine sommerliche Landschaft zeigt: Blumen, Sträucher, Felder, Birken, Wiese. Ich war so erstaunt darüber, als hätte ich wirklich gedacht, sie hätten sommers in der Erde, im Winter zwischen Schneewänden gewohnt. Ich habe es sofort geliebt, ich habe den Heckenrosenduft gerochen, das Flirren der Sommerinsekten gehört, und mir gedacht, sie müssen es doch auch geliebt haben, und wahrscheinlich haben sie deshalb nie wieder davon gesprochen. Hätten sie davon gesprochen, wären ihnen die Tränen gekommen und die Tränen hätten ihnen die Worte genommen und am Ende wäre ihnen dann das Schlesische als Feiersprache und Lachsprache abhanden gekommen. Retten was zu retten war. Bettdecken, ein bißchen Schmuck, den Willen zum Witz. Damit durch den Krieg kommen, durch einen Krieg, von denen die im Frieden geborenen Kinder und Enkelkinder ihnen bittere Wahrheiten vorhalten werden, wieder und wieder. Sie sind den Landsmannschaften fern und wollen doch ihr individuelles Leid nicht anrechnen lassen  auf eine kollektive Schuld. Also wird eher nicht davon gesprochen. Manchmal doch, wenn sie die Köpfe dicht zusammenstecken, ein Kabel  reparieren, Wäsche sortieren, dann werden ihnen die Kehlen plötzlich eng, raue, abgerissene Wörter kommen heraus, die die Kinder und Enkelkinder sich erst viel später, im nachhinein, zusammenreimen. Die Männer über die Front und die Kriegsgefangenschaft. In halben Sätzen, mit fortwährend nickenden Köpfen (als wollten diese Köpfe sagen: Wir wissen ja alles, alles, was immer Du sagen wirst, komm, laß uns wieder schweigen.) Die Frauen über Vergewaltigung, fast ohne Worte, die Blicke gehen auf den Boden (einem Boden von dem sie gehofft haben mögen, er würde sich auftun und sie verschlingen, Du brauchst mir nichts erzählen.)

 

Da steht die Nachbarin vor der Tür, mit dem Kuchenteller in der Hand. Sieht nichts von den übereinanderstürzenden Flashbacks in meinem Kopf, fragt nach, irritiert über mein Schweigen:„Oder habe ich das verwechselt?“

„Nein, nein, wie wunderbar! Gerade habe ich an Stresla gedacht, ob Sie’s glauben oder nicht, herzlichen Dank!“

Sie nickt. „Er schmeckt doch anders dort“. Der echte Streuselkuchen. (Bin schon wieder im Buch…) Wir verabreden uns zum Kaffee.  Den Kuchen stelle ich in die Küche. Dort lungert mein Sohn herum: „Was hast Du da?“

„Stresla.“

„Was?“

„Streslakucha –Streuselkuchen.  So hat man gesagt, dort, wo die Oma als Kind zuhause war.“

„Mmh. Krieg ich ein Stück? Weißt Du, eigentlich ist Streuselkuchen der einzige Kuchen, den ich mag.“

Die Bäcker hier bieten belgische Waffeln an, russischen Zupfkuchen an, New York Cheese Cake, Schwarzwälderkirschtorte, Schwäbischen Apfelkuchen, Muffins und Cookies mit doppelt Schokolade. Aber er ißt nur Streuselkuchen. Und ich habe nie einen gebacken. Ein Lachen,  mir selbst nicht ganz geheuer, steigt in mir auf.

„Warum lachst Du?“

„Über Deinen Lieblingskuchen. Ausgerechnet Stresla. Und darüber, daß ich nie backe.“

„Wo ist das nochmal, wo die Oma herkommt?“

„Früher Schlesien, heute Polen. Nicht weit von Breslau.“

„Wie sieht es dort aus?“

Ulrike Draesners Buch liegt auf dem Küchentisch. Weites wogendes Feld, ein düsterer Himmel. Ich zeige darauf. Vielleicht so.

„Wirklich?“

„Ach, ich weiß es gar nicht. Ich habe nur einmal ein Photo gesehen, Wiesen und Felder und eine Hecke und viel Himmel.“

„Himmel gibt´s doch überall.“

„Aber nicht denselben.“

„Natürlich denselben.“

„Meinst du?“

Er liest über Kopf: Sieben Sprünge vom Rand der Welt. „Geht doch gar nicht. Wenn die Welt rund ist, eine Kugel, meine ich.“

„Blöd ist, daß man trotzdem aus der Welt fallen kann.“

Er schaut mich an, zweifelt an meinem Verstand. Erst meint sie, es gäbe verschiedene Himmel und am Ende hat sie selbst die Geschichte mit der Erdkrümmung nicht verstanden. Grundschulstoff.

„Weißt Du, ich habe da gerade eben eine Stelle gelesen, da erinnert sich ein alter Mann an die Landschaft seiner Kindheit, nicht weit von dort, wo die Oma herkommt. Ich lese sie Dir mal vor, sie könnte Dir gefallen, es geht auch um Schuleschwänzen und große Ferien. Außerdem ist es da gerade Juni. Wie jetzt. Hör zu:

 

Den Juni hatte ich am meisten geliebt, fahlgrün, gelbgrüngrün, eben erst fing der Sommer an, alles lag noch vor einem, anders als im August, wenn gegen Ende des Monats die ersten trockenen Blätter in den Bäumen hingen, und das Licht mit einem Ruck gelber und merklich kurzstrahliger wurde. Im Juni standen die Sommerferien vor der Tür, welches gloriose Gefühl. Das war Zuhausesein: die letzten Schulwochen hindurch brach ich morgens früher, als ich  musste, mit dem Fahrrad auf, sauste vorbei an den Vorgärten der Kronprinzen- oder Beethovenstraße mit ihren Jasminsträuchern und Rosenbüschen, vermied jeden Seitenblick auf die Evangelische Knabenschule und rauschte unter der Eisenbahnbrücke hindurch in die Freiheit. Felder säumten den Weg, eine Wiese mit kleinen Teichen, die selbst im Sommer nicht austrockneten, als flössen der Oder selbst hier, viele Kilometer von ihrem Bett entfernt, unterirdische Rinnsale speisend zu. Weiden warfen ihre Schatten auf die zahlreichen Holzstege über den Bächen, schwangen ihre biegsamen Äste wie Frauenhaar in der milden Luft. Ich fuhr den Hügel hinauf, das letzte Stück ging ich zu Fuß, auf der Kuppe kreuzten sich die Spuren von Rehen, Füchsen und Hasen. Die Steine lagen warm im Boden, ich spürte sie durch die dünnen, allzeit abgewetzten Sohlen meiner Sandalen, und die Erde war erdig, erst im Juli verwandelte sie sich in Staub. […… ……] Die Kornfelder wogten, ich sah den Wind in mächtigen grüngelbbraunen Wellen durch sie hindurchgehen, das Getreide wuchs höher als heute, vernehmlich raschelten die Halme, als wollten sie alle Kraft eines biegsamen Lebens vorführen. Ihr Geräusch machte die Umgebung auf eine Weise still, die mich mehr beruhigte als jede tatsächliche Geräuschlosigkeit.

Esther hatte mir vor kurzem vorgelesen, dass das  chinesische Wort für „unendlich“ , mangmang, vom Wogen der Ähren im Wind stammt: als unendlich werde bei den Chinesen nicht die Salzsee empfunden, sondern das Wachstumsmeer, das goldgrüne Rascheln der Materie. Die Kornfelder bei Leuchten waren meine Ewigkeit. (S.183f.)

 

„Und Du meinst, die Oma hat auch so was gemacht, vor der Schule in die Felder fahren und so?“

 „Glaub ich nicht, das wäre eher Opas Art gewesen, aber diese goldgrünen mangmang-Felder, die müßte  sie eigentlich auch gesehen haben. Von so etwas hat sie aber nie gesprochen.“

„Wir können ja mal hinfahren und nachsehen, ob es diese MangMangs wirklich gibt.“

„Hm. Ich wüßte auch gern, ob  es am Rande der MangMangs Mohnblumen gibt. Der schlesische Mohnkuchen ist ziemlich berühmt, eigentlich müßte es dort auch mangmang viele Mohnblumen geben.“

„Klar. Warum nicht?“

„Weil mir die Oma auch davon nie was erzählt hat. Müsste ihr doch in Erinnerung geblieben sein, diese knallroten Blüten.“

„Stimmt.“

„Vielleicht war sie zu klein, hatte noch nicht die richtigen Worte dafür, und konnte es deshalb auch nicht erzählen.“

 

Ja, sie war einige Jahre jünger als Eustachius, überlege ich mir. Vielleicht waren ihre Kreise zu klein, um die Unendlichkeit der Kornfelder vor sich zu bringen, aber dieses „Nimm dich in acht“ des Flüchtlingskindes, das Eustachius zur  „heimlichen Melodie des Blutes“, geworden ist, das ist auch sie nie mehr losgeworden, sie hat es weitergegeben, es hat sich angereichert in meinen Adern, hat mich in friedlichsten Zeiten in hellste Panik versetzt. Da habe ich es herausstammeln, herausschreien und herausheulen müssen aus der Heimlichkeit, 3x wöchentlich, auf dem Sofa einer sehr klugen Frau. Talking cure. Ich hoffe, das „Nimm dich in acht“ ist gesundgeschrumpft im Blut meiner Kinder, ausreichend verdünnt, vermischt glücklicherweise mit dem  Lebensmut väterlicherseits.

 

Der kleine Bruder kommt nach Hause. Beteiligt sich am Streuselkuchen. Wird über die Gesprächsergebnisse der letzten halben Stunde in Kenntnis gesetzt.

„Mang mang, cooles Wort, oder? Ist Chinesisch. Das heißt unendlich, dort wo die Oma herkommt.“

„Aber die Oma spricht doch deutsch?“

„So eine Art  Deutsch. Der Streuselkuchen heißt da auch anders. Wie noch, Mama?“

„Stresla. Streslakucha.“

„Und warum gibt´s da auch Chinesisch, mangmang?“ –

„Weil man manchmal in einer anderen Sprache mehr begreift als in der eigenen…“

Beide Jungs sehen mich skeptisch an. Sie redet wieder krauses Zeug. Möchten sie lieber nicht vertiefen. Werden konkret:

„Kannst Du das mal aufschreiben, dieses Mangmang?“

Vielleicht habe ich vor zwanzig Jahren chinesische Schriftzeichen gelernt für genau diesen Moment, denke ich und schreibe es ihnen auf:

 

Sie nehmen das Papier mit, um das Wogen der Ähren im Wind an der Wand ihres Zimmers zu verewigen.

„…. Oder sich mit Tieren besser versteht als mit Menschen. Mit Affen zum Beispiel“, rufe ich ihnen noch hinterher, während ich Ulrike Draesners Buch wieder zur Hand nehme, um zu erfahren, wie es mit  Eustachius Grolmanns zoologischen Lebensabendprojekten weitergeht. Keine Antwort. Ist aber womöglich nicht ganz verloren. Ist vielleicht gelandet im Ordner „Für später mal“.

 

Erst am Abend, kurz vorm Einschlafen, hat sich in mir eine Frage hochgearbeitet: War heute der Tag, an dem ich, eine Weitgereiste, eine, die möglichst immer mit einem Bein im Zug steht, eine, die am liebsten immer eine Fahrkarte in der Tasche hat, nahezu egal, welche, und eine, die in all dieser unablässigen Reiserei eine bestimmte Himmelsrichtung immerzu und geradezu vorsätzlich ausgespart hat, tatsächlich den Entschluß gefaßt haben sollte, dorthin zu reisen, diese traurigen, schwierigen, melancholischen, wütenden, zähen, langen und unabsehbaren 300 Kilometer über zwei Breitengrade Südostost…?

 

(c) BGK, 2014

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In der Rubrik “Selbst-Erzählen” veröffentlichen wir Texte von Lesern.

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Kleines Vaterland, małą ojczyznę https://der-siebte-sprung.de/kleines-vaterland-ma-ojczyzn/?pk_campaign=feed&pk_kwd=kleines-vaterland-ma-ojczyzn Tue, 01 Apr 2014 08:49:25 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=422 ]]> Matthiasplatz in Wroclaw #7terSprung Ulrike Draesner

kleines Vaterland, małą ojczyznę: Halina, 1945 aus Lemberg nach Wrocław vertreiben, viele Jahre später:

„Heim-ge-sucht, hatte Daidanek mir beigebracht.

Nun konnte ich sie sehen, Wrocławs Mildigkeit, von der Tatuś einst gesprochen hatte. Sie lag auf den Katzenköpfen nach einem Regen, umfloss die Büsche, die wieder blühten am Matthiasplatz, breitete sich über Hausdächer halb im Schatten, halb im Sonnen­schein. Die Vögel sangen auch ohne Plan, sie profitierten vom Sozialismus: Löcher in Hauswänden, zahlreiche Brutnischen, Samenflug. Noch vor der Morgendämmerung zog ihr Gesang unsichtbare Risse in die Reste der Nacht, mein Herz schlug im Dreischritt, Tomasz-Boris-ich, Adam-Heinrich-ich, Heinrich-Boris-ich. Dreischritt, um nicht zum Zweitakter zu werden, um nicht zu pochen zwischen früher und jetzt, Fremde und Heimat, gut und schlecht, um nicht zu pochen: Flüchtling, Flüchtling, Idiot.

Gleichwohl hatten Tomasz, Boris und ich ein Zuhause, »kleines Vaterland«, małą ojczyznę, ein postdeutsches Schwimmbad und eine postdeutsche Oder. Über Mutter hing eine Gloriole goldener Lembergerinnerungen: Je älter sie wurde, umso überzeugender machte sie sich neuerlich zu einer einzigen Person. Sie löschte, dass man sie durchgeschnitten und ihr Leben geteilt hatte, indem sie kurzerhand den zweiten Teil, ihre Gegenwart, vergaß. Ab und an, wenn sie mit Boris spielte, blitzte ihr unvermutet die alte Munterkeit aus den Augen. An anderen Tagen saß sie da und streichel­te stundenlang ihren Lemberger Flakon.“

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Panjewagen https://der-siebte-sprung.de/panjewagen/?pk_campaign=feed&pk_kwd=panjewagen https://der-siebte-sprung.de/panjewagen/?pk_campaign=feed&pk_kwd=panjewagen#respond Sun, 23 Mar 2014 08:00:58 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=410 ]]> Bundesarchiv_Bild_101I-215-0366-03A,_Russland,_Soldat,_Pferd_im_Winter Panjewagen #7terSprung

Panjewagen: (häufig offener) Wagen, gezogen von einem Panjepferd. Panje bedeutet „Herrchen“ (abgeleitet von pan, Herr). Die anspruchslose, mittelgroße Pferderasse hatte vor allem in der Landwirtschaft Osteuropas Verwendung gefunden, sie galt als hart, leistungswillig und anspruchslos.

Bild: Wikimedia Commons, CC BY SA 3.0, „Russland, Soldat, Pferd im Winter Sowjetunion. Soldat mit Maschinenpistole (MP) und weißem Wintermantel neben Panje-Pferd in verschneiter Landschaft; PK 694″ 1941

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https://der-siebte-sprung.de/panjewagen/?pk_campaign=feed&pk_kwd=panjewagen/feed/ 0 410
Zobten https://der-siebte-sprung.de/zobten/?pk_campaign=feed&pk_kwd=zobten Sat, 22 Mar 2014 08:30:34 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=414 ]]> Zobten_Postkarte Wikimedia PD 1920 #7terSprung

Zobten: auch Zobtenberg genannt, polnisch Ślęża oder Sobótka: einzeln stehender Berg, Höhe 718 Meter, 35 Kilometer südwestlich von Wrocław gelegen. Wahrzeichen Schlesiens. Auf dem Gipfel befand sich eine vorzeitliche Kultstätte; der Name der Region, Slensane, soll sich von dem Berg ableiten. Ein Dokument aus dem Jahr 1148 bezeichnet ihn als mons silecii. Heute krönen eine Kapelle, ein Sendeturm und eine Bergbaude den Gipfel. Rundum finden sich heidnische Steinskulpturen: Jungfrau mit dem Fisch, Bär und Eber, die als charakteristisches Symbol des Sonnenkultes die Swastika tragen. Das gesamte Zobtenmassiv besteht nahezu exklusiv aus dunkelgrauem Gabbro, einem Gestein mit granitähnlichen Eigenschaften. Hannes bezeichnet den Berg der blauen Schatten als Haus- und Geisterberg Breslaus. 

Bild: Zobten (Wikimedia, Public Domain)

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Kresy https://der-siebte-sprung.de/kresy/?pk_campaign=feed&pk_kwd=kresy Wed, 19 Mar 2014 07:36:26 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=397 ]]> Kresy: alte polnische Bezeichnung für die östlichen Grenzlande (heute ukrainisch oder litauisch), zum Teil auch als Wildes Feld (Dzikie Pola) bezeichnet.

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graniza / Grenze https://der-siebte-sprung.de/graniza-grenze/?pk_campaign=feed&pk_kwd=graniza-grenze Mon, 10 Mar 2014 10:00:31 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=362 ]]> graniza grenze #7tersprung

graniza/Grenze: eines der wenigen westslawischen Lehnworte im Deutschen, übernommen im 13. Jahrhundert, als man Richtung Osten kolonisierte. Das heimische Wort ‚Mark‘ für „Grenze/Grenzgebiet“ wurde allmählich ersetzt. Polnisch: granica, „Grenze“, tschechisch hranice, russisch granica“.

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Breslau – Wroclaw 1945 (2) https://der-siebte-sprung.de/breslau-wroclaw-1945-essay-teil-3-2/?pk_campaign=feed&pk_kwd=breslau-wroclaw-1945-essay-teil-3-2 Fri, 07 Mar 2014 07:15:43 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=347 ]]> Breslau Wroclaw 1945-heute Ulrike Draesner

(Polski:  Breslau – Wroclaw 1945 Übersetzung: Karolina Kuszyk)

Rauchend, staubig, chaotisch, ein von Menschenströmen durchzogener „Topf“. „Repatrianten“ treffen aus Ostpolen und dem sowjetischen Reich ein, Zuzügler aus Zentralpolen, Heimkehrer aus dem Westen. Durch die Straßen irren nichtvertriebene Deutsche, Zwangsarbeiter, kriegsgefangene Deutsche, befreite Kriegsgefangene der Deutschen, aus Lagern befreite Gefangene des Naziregimes, polnische und sowjetische Soldaten, Polizei und Geheimpolizei, elternlose Kinder und Jugendliche, Alte und Kranke, Menschen mit hybriden, gemischten Herkünften, jeder auf der Suche nach einem, „seinem“ Weg, aufgebrochen und zurückgeworfen, festgehalten, gestrandet, mittellos, zwischen marodierenden Banden von Dieben und Räubern, zwischen Hungernden, Mittellosen, Verletzten verletzt unterwegs.

Viele der ostpolnischen Flüchtlinge stammen vom Land. Sie geraten in eine Stadt, ohne zu wissen, wie Stadtleben „geht“. Andere, aus Lemberg, sind entsetzt über die Menschen, mit denen sie nun zusammenleben sollen. Ich fragte: Wie wurde verteilt? Wie kaufte man ein? Wer organisierte was?

2005 hatte mir ein polnischer Dichterkollege, Tomasz Rózycki, bei einem Poesiefestival in Paris auf dem Hotelflur erzählt, wie seine Familie aus Ostpolen in das deutsche Haus in Oppeln einzog, in dem sie bis heute lebte. Jahrelang war man fremd geblieben, die Fluchtkoffer fertig gepackt unterm Bett. Die Deutschen kehrten gewiss zurück! Man erwartete den Dritten Krieg. Damals, in dem dämmrig-plüschigen Pariser Hotelflur, waren mir die Augen aufgegangen. Was Rózycki sagte, lag nahe, vorgestellt hatte ich es mir nie: das Ankommen in der Wohnung von Fremden. Das Nehmen und das mit diesem Nehmen leben Müssen, die Gefühle des Einkriechens und der Scham, der Not, Wut und Abhängigkeit, die gespenstische Anwesenheit der Bis-eben-Eigentümer.

Leben in einem fremden Kokon.

Die 1945 aus Ostpolen vertriebenen Zeitzeugen, die ich in Wrocław traf, sprachen von ihren Kindheiten in der Ukraine in den 40er Jahren, von Sowjets und Deutschen, von einer endlosen, beängstigenden Fahrt im Sommer 1945 Richtung Westen, über Wochen hinweg, in offenen Güterwaggons mit anderen Menschen, Vieh und Gepäck. Die Ankunft in Wrocław oder den es umgebenden Dörfern indes schien versunken, aufgesogen vom schwarzen, grauen und roten Staub der zerbombten und zerschossenen Stadt, von ihrem Feuerlicht. Mir halfen Fragen nach dem Schwarzmarkt (Szaber) oder nach den Abenteuergefühlen eines Jungen von zehn Jahren, nach dem Spielzeug, das er fand.

Eindrücke auch im Film von Horst Konietzny über diese Recherchereise auf der Seite der Robert-Bosch-Stiftung.

(Bild: Screenshot aus dem Film von Horst Konietzny)

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Essay (2) https://der-siebte-sprung.de/rendez-vous-2-7tersprung/?pk_campaign=feed&pk_kwd=rendez-vous-2-7tersprung Tue, 04 Mar 2014 08:40:29 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=306 ]]> Aus Ulrike Draesners Reisenotizbuch #7terSprung

Teil 2 von Ulrike Draesners Essay zum Roman „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“. Teil 1 finden Sie hier.

Sabine Bodes vor knapp zehn Jahren erstmals veröffentlichte Interviews mit Kriegskindern, Menschen der Jahrgänge 1930 bis Anfang der 40er Jahre, die die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg mit all seinen Folgen als Kinder bzw. Jugendliche erlebten, halfen mir weiter. Vieles von dem, was ich las, erkannte ich wieder; Wege in die ebenfalls erst in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelte Forschung zu Phänomenen transgenerationeller Übernahme von Traumata und zu Phänomenen wie postmemory öffneten sich.

 

Seit ich an dem Roman schrieb und manchmal von meinem Thema erzählte, hörte ich Geschichten von „seltsamen“ Träumen und Ängsten – Bilder im eigenen Kopf, die als fremd empfunden wurden. Sie stammten aus dem Leben eines Elternteiles. Offenbar werden nicht nur Gewohnheiten, Denk- und Emotionsmuster zwischen den Generationen weitergegeben. Studien zu Kindern traumatisierter Erwachsener sprechen von einem unbewussten „holding“ und „containing“, das Kinder ihren Eltern gewähren: sie spüren deren unaussprechbaren Schmerz, versuchen, die Erwachsenen zu halten und zu unterstützen, ja, „beherbergen“ sie in sich, erleben „an Stelle“, werden als Selbstobjekte funktionalisiert.

Familiäre Weitergabe: zart und brutal.

Verschiebungen des Gedächtnisses, der Psyche, der Seele. Schraffuren (auch) der Sprache. Menschen, denen „es“ den Rahmen verzogen hat. „Es“, das Geschehen – und die innere Beteiligung daran. „Es“: Die Übermacht von außen (gezwungen, bedroht, verfolgt, ausgesetzt) – und die Fragen danach, woher „es“ kam.

Wie, fragte ich mich, sollte es möglich sein, davon zu erzählen?

Irgendwann – seltsames „irgendwann“, wenn ich versuche, mich an Schreibspuren zu erinnern –, fand ich die Lösung. Ich musste einen multi-logischen Roman schreiben. Multi-logisch in der doppelten Bedeutung des Wortes: verschiedenen Lebenswahrheiten folgend, von verschiedenen Seiten her gesprochen.

Als ich las, wie von Ostpolen nach Schlesien vertriebene Polen ihre Erlebnisse sowie ihr Leben nach der sogenannten „Heimkehr“ schilderten, löste sich der Knoten. Die Idee für die Form des Romans kam aus dem Material. Da lebten Menschen aus Lemberg in dem von Deutschen geräumten Wrocław und sehnten sich in die Heimat zurück, mit Bildern, Schmerzen und Liebesgefühlen ähnlich jenen, mit denen Flüchtlinge aus Breslau im Westen saßen und in den verlorenen Osten blickten. Überraschender und stärker als die Unterschiede zwischen diesen Menschen waren die Spiegelungen. Die Auswirkungen des Heimat- und damit häufig verbundenen Familienverlustes; die induzierte äußere wie innere Verzogenheit.

Das Thema trifft uns und unsere Nachbarn. Erzählbar wurde es durch eine Kreuzung: im Roman bewegen sich eine polnische und eine deutsche Familie hintereinander her nach Westen, verfolgen sich, ohne sich zu kennen. In einer späteren Generation schneiden sich ihre Wege; bei ihren Kindern führen sie wieder auseinander.

Sowohl bei deutschen wie bei polnischen Zeitzeugen fand ich Spaltungen, Gedanken- und Gefühlsfluchten in nostalgische Vergangenheitsräume, die Weitergabe des Gefühls, selbst falsch zu sein. Ich hörte und las von Verlusten und Abenteuerlust, Aufbruchsnöten und Untergängen, von der Zerschlagung eines kulturell und sprachlich gemischten Raumes, begegnete Leugnung und Sehnsucht, Lüge und Mimikry.

Seltsam distanziert, von Unterbrechungen heimgesucht, durchzogen von Wutausbrüchen, Ängsten, Träumen von Sicherheit.

Noch einmal versuchte ich, mich vor dem Roman in Sicherheit zu bringen. Ich wiederholte die Geste meines Vaters: ich floh vor der Flucht – und unterschrieb einen Verlagsvertrag für einen anderen Roman.

Als ich versuchte, ihn zu schreiben, kam Lilly wieder hervor. Setzte sich auf meinen Schreibtisch, erhob die Stimme. Diesmal hatte sie Emil mitgebracht. Meinen behinderten Onkel, Vaters Bruder, durch die Nazizeit gerettet, auf der Flucht ums Leben gekommen.

Ich gab auf.
Sie waren in der Überzahl, waren stärker als ich.
Im Mai 2012 reiste ich nach Polen.

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