Wolf und Fuchs (5)

© Flickr.com/Steve and Shanon Lawson

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Hannes erzählt
Eustachius kam im Dezember 1930 zur Welt. An einem noch winterlichen Morgen neun Monate zuvor war unvermittelt ein Altfuchs ohne Deckung am Bach gestanden und hatte mich angeschaut, als habe er mich gesucht. Reif glitzerte, über dem Wasser zerriss der Nebel in Schwaden. Der Balg des Fuchses leuchtete hellrot, die prächtige Lunte schwang dunkler mit schneeweißer Blume. Das Gehöre drehte sich ununterbrochen nach dem Rauschen der Bäume, den Kopf indes hielt er so still, als böte er mir Paroli. Seine Augen taxierten mich mit der Schätzkraft des erfahrenen Raubtieres, gejagt und über all die Jahre entwischt. Es war, als wolle er mir etwas sagen, und er sagte es. Es war fremd und gewitzt.
In aller Ruhe, stolz, drehte er auf der Stelle, warf mir einen letzten Blick zu und schnürte Richtung Wald.
Im April 1920 hatten wir geheiratet. Etwas Vornehmes ging von Lilly aus: das hellblonde dünne Haar, das in der Nase kitzelte wie nichts sonst auf der Welt, die fast durchsichtige Haut. Mit ihrer leicht schnarrenden Stimme zog ich sie auf. Runde Brüste, das hatte ich noch vor der Verlobung durchs Kleid gesehen. An meiner Brust hing das Eiserne Kreuz Erster Klasse, die Tapferkeit. Niemand schalt mich mehr, selbst Mutter gehorchte. Eisern wie das Essgeschirr. Ich musste die Augen schließen, als ich vorm Altar »ja« sagte, »ja«.
Woran ich nicht mehr glaubte, ging keinen etwas an.
Nicht einmal mich selbst.
Am Abend des Waldtages fast zehn Jahre später trug Lilly Fuchslichter in den Augen. Wir waren vorsichtig, wir hüteten uns, wir hatten Angst vor einem zweiten Kind, wir vergaßen es.


Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Hannes erzählt” ist der fünfte von sechs Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.