Wolf und Fuchs (3)

© Flickr.com/Tambako The Jaguar

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Auch Hannes begegnet dem Wolf:
(Kriegsgefangenschaft in Russland)

Niemand draußen wusste, ob oder wo er lebte. Er ging in der Lagerwelt auf, existierte nur dort. Es gab keinen Außenraum mehr. Seine Zigaretten tauschte er gegen Brot. Das alte Festhalten an Zahlen, die Bäckerregeln im Blut. Im Sommer arbeiteten sie auf einer Kolchose; von ihrem Gehalt zahlten sie Steuern und Gebühren an das Lager, das Wenige, was übrig blieb, wurde auf ein Konto überwiesen. Einmal durfte er 150 Rubel abheben, sie waren im Handumdrehen verbraucht und, wie er hoffte, klug verteilt. Er hätte gewusst, wie man einen Hasen fing; es gab keine Hasen. Nicht einmal Kaninchen. Die Russen hungerten ebenfalls. Manchmal schob er sich, indem er sich rasch bückte, einen Halm in den müden Mund. Manchmal erbrach er davon.
Davon oder von der Leere im Kopf. Er wachte auf und wusste, wer tot war: er selbst.
Da lachte er laut.
Andere, die es auch wussten, schauten ihn an.
Er verlor zwei Zehen, lächerlich. Der Weg zu seinem Vater war weit gewesen. Gebückt wühlte der alte Mann zwischen Scherben in einem Boden, der aus Knochen bestand. Er schien glücklich, trug einen weißen Indianerzopf, sah den Sohn lange an und erzählte die Geschichte von Odysseus und der Kälte, die in der Odyssee vergessen worden war. Odysseus, der schlaue Hund, hatte entdeckt, dass, wer fror, nur ein Feuer in sich entzünden musste. Dann schmolz sein Fett, rasend schnell schmolz er mit ihm dahin, dabei wurde ihm warm.
Ihm wurde warm.
Bisweilen hörte er nachts Wölfe heulen. Sie waren wirklich Tiere, das tröstete ihn. Er konnte den Mond anschauen wie sie. Die Wölfe heulten, obwohl sie zuhause waren.

Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Auch Hannes begegnet dem Wolf” ist der zweite von sechs Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.