Traumata – Sieben Sprünge vom Rand der Welt https://der-siebte-sprung.de Ulrike Draesner Mon, 09 Feb 2015 20:52:01 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4 63645751 Antonia Schnauber: Ihr Artikel „Der Schmerz der Nachgeborenen“ https://der-siebte-sprung.de/antonia-schnauber-ihr-artikel-der-schmerz-der-nachgeborenen/?pk_campaign=feed&pk_kwd=antonia-schnauber-ihr-artikel-der-schmerz-der-nachgeborenen Mon, 09 Feb 2015 20:52:01 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1244 ]]> Sehr geehrte Frau Draesner,

mit Ihrem in der Zeit erschienenen Artikel „Der Schmerz der Nachgeborenen“ haben Sie ein Phänomen unserer Gesellschaft so eindrücklich beschrieben und auf den Punkt gebracht, dass ich nicht umhin kann, als Ihnen hiermit meinen Dank und meine tiefe Rührung auszudrücken. Die Geschichte Ihres Freundes „Sami“ hat mich sehr bewegt. Sie ist ein Zeugnis für die lebendige Präsenz der Vergangenheit inmitten ihrer Nachkommen und die tiefe Liebe von Kindern zu ihren Eltern, der kein Preis zu teuer ist. Bitte erlauben Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle: Mein Name ist Antonia Schnauber und ich arbeite als Geschichtslehrerin an einem Düsseldorfer Gymnasium. Mit einem Kollegen leite ich seit einigen Jahren den Projektkurs „Erinnerungskultur“ an unserer Schule, in dem wir uns mit dem Erinnern, der deutschen Geschichte und der Erinnerungskultur beschäftigen. Teil dieses Kurses ist auch ein Austausch mit einer jüdisch israelischen Schülergruppe, mit der wir gemeinsam in Berlin Orte des Erinnerns aufsuchen und wie z.B. in Sachsenhausen eine gemeinsame Gedenkzeremonie abhalten. Ein Ziel des Kurses ist, dass die Schülerinnen und Schüler selber ein Stück Erinnerungskultur erschaffen. Das kann ein Gemälde sein oder eine wissenschaftliche Arbeit. Eine Schülerin hat im vergangenen Projektkurs eine außerordentliche Arbeit zum Thema „Weitergabe von Traumata“ geschrieben, in der sie neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorstellt, die belegen, dass sich Traumata, wie Krieg und Verfolgung auf die nachfolgenden Generationen vererben. Es werden Fälle beschrieben, in denen Menschen z.B. von Träumen berichteten, die eine so lebendige Erfahrung wiedergaben, die sie selber nie erlebt hatten, die aber, wie sich später herausstellte, von den Eltern erlebt jedoch nie erzählt worden war. Ihr Artikel erinnerte mich an diese Arbeit und diesen neuen Erkenntnissen.

Ich komme außerdem vom Theater und habe mit einem Pianisten in London das Musiktheaterstück „I am a stranger here myself“ inszeniert und in England und Deutschland aufgeführt. Es ist eine Art Erinnerungskulturstück und handelt von der Deutschen Marta, die um 1945 nach London kommt. Sie trifft auf den Pianisten Mark, der in den wilden Zwanzigern in Berlin in Cabarets und Bars Klavier gespielt hat. Sie führt die Zuschauer mit auf eine Reise durch die Zeit der goldenen und nicht so goldenen Zwanzigern, den Aufstieg des Nationalsozialistischen Regimes und den vielen deutsch-jüdischen Künstlern, die ins Exil gingen, wie Kurt Weill, dessen gesungene Lieder die Darstellung lebendig machen. Nach den Aufführungen (die letzten waren im Oktober 2014 in London) kommen stets Menschen zu mir, die mit leuchtenden Augen über das gerade Erlebte und Dargestellte, über diese Zeit, das Vergangene reden wollen. Sie erzählen von ihren Erfahrungen mit dem Thema und persönliche Schicksale, und es scheint so, als würde etwas wieder ganz, heil… gesund. […] Dazu ist es so wichtig, sich über die Auswirkung der Vergangenheit für das Hier und Heute, für uns bewusst zu machen. Das hat Ihr Artikel so eindrucksvoll geschildert. Ich danke Ihnen dafür.

Mit freundlichen Grüßen
Antonia Schnauber

(c) Antonia Schnauber, 2015

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In der Rubrik “Selbst-Erzählen” veröffentlichen wir Texte von Leserinnen und Lesern.

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SWR2 Forum: Das schmerzhafte Band https://der-siebte-sprung.de/swr2-forum-das-schmerzhafte-band/?pk_campaign=feed&pk_kwd=swr2-forum-das-schmerzhafte-band Mon, 14 Jul 2014 22:49:27 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=587 ]]> Am 09.07.2014 war Ulrike Draesner Gast in einer Gesprächsrunde im SWR2 Forum zum Thema Kriegskinder und Traumata. Der Podcast der Sendung steht auf der Webseite des Senders zum Anhören bereit: SWR2 Forum: Das schmerzhafte Band

Ulrike Draesner diskutiert mit Dr. Karin Orth (Historikerin, Universität Freiburg) und
Dr. Ilka Quindeau (Professorin für Klinische Psychologie und Psychoanalyse, Fachhochschule Frankfurt), die Gesprächsleitung hatte Reinhard Hübsch.

Aus der Beschreibung der Sendung:

Sie reflektiert darin, welche Spuren der Krieg nicht nur in denen hinterließ, die ihn erlebten, sondern auch in den Nachfahren. Wie jene, die als Kinder und Jugendliche vom Krieg geprägt wurden, mit den Traumata und Verletzungen umgehen.
Mit diesen Fragen befassen sich auch Historiker, Psychologen und Psychiater; sie diagnostizieren, dass die Erfahrung von Angst und Verzweiflung an die Nachfahren weitergegeben wurde, ganz so, als ob ein „ungeheuerlich starkes und schmerzhaftes Band“, ein „Seelenband“ (Draesner) Eltern und Kinder miteinander verbindet.
Haben alle Kinder und Eltern dieses Band zwischen sich? Können Lebenserfahrungen wie ein genetischer Abdruck vererbt werden? Wie leben Menschen mit Erfahrungen, die nicht auf eigenen Erlebnissen gründen?

 

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Kriegskind https://der-siebte-sprung.de/kriegskind/?pk_campaign=feed&pk_kwd=kriegskind https://der-siebte-sprung.de/kriegskind/?pk_campaign=feed&pk_kwd=kriegskind#respond Wed, 05 Mar 2014 13:00:15 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=280 ]]> Kriegskind - Ulrike Draesner #7terSprung

Kriegskind: Person, die in ihrer Kindheit durch Krieg und erste Nachkriegszeit geprägt und in ihrer Entwicklung beeinträchtigt wurde. Durch die seit der Jahrtausendwende erschienenen Interview-Sachbücher von Sabine Bode wurde der Begriff allgemein bekannt (siehe etwa: Sabine Bode, Die vergessene Generation). Ein eigener Blick fällt auf die Generation der zwischen 1960-1975 geborenen, sogenannten Kriegsenkel. (siehe auch Postmemory). Bettina Albertis Buch „Seelische Trümmer. Geboren in den 50er- und 60er-Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas“, kenne ich noch nicht, es liegt auf meinem Schreibtisch.

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https://der-siebte-sprung.de/kriegskind/?pk_campaign=feed&pk_kwd=kriegskind/feed/ 0 280
transgenerationell https://der-siebte-sprung.de/transgenerationell/?pk_campaign=feed&pk_kwd=transgenerationell Mon, 03 Mar 2014 09:00:29 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=274 ]]> transgenerationell-Ulrike Draesner #7terSprung
transgenerationell: über Generationen hinweg. Psychologische Forschungen zu Auswirkungen von Traumatisierungen nicht nur auf unmittelbar Betroffene, sondern auch auf nachfolgende Generationen diskutieren den Begriff der „Übernahme“ oder „Weitergabe“ als Übersetzungen des im angloamerikanischen Sprachraum entwickelten Konzeptes einer „transgenerational transmission“. Gefragt wird nach ihren Kanälen: Haltungen, Gefühlslandschaften, Habitus, Schweigegebote.

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Erben https://der-siebte-sprung.de/erben/?pk_campaign=feed&pk_kwd=erben https://der-siebte-sprung.de/erben/?pk_campaign=feed&pk_kwd=erben#respond Mon, 17 Feb 2014 07:19:53 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=185 ]]> Erben - Ulrike Draesner

Erben: vor einigen Jahren zog das Schlagwort von der “Erbengeneration“ durch die Feuilletons. Gemeint waren insbesondere die Kinder der Aufbaugeneration der Bundesrepublik. Inzwischen scheint der Begriff verschwunden; man ahnt wohl, dass die Sache mit dem Erben so einfach nicht sein wird.
Jüngst antwortete mein Vater auf die Frage eines Interviewers, was seine Tochter mit seiner Flüchtlingsgeschichte zu tun haben könnte, mit einem knappen „nichts.“ Seinen Schmerz hält er für unsichtbar. Doch seitdem ich 14 wurde, erzählt er mir an jedem meiner Geburtstage, dass er als 14jähriger Junge eben in der Nacht vor diesem Geburtstag aus seinem Zuhause fliehen musste. Jedes Mal leitet er diese Erzählung mit dem Satz ein: „Das wird dich jetzt überraschen, damals… in exakt dieser Nacht mussten wir… Daran muss ich denken.“
Jedes Mal scheint er selbst davon überrascht.

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https://der-siebte-sprung.de/erben/?pk_campaign=feed&pk_kwd=erben/feed/ 0 185
Postmemory https://der-siebte-sprung.de/postmemory/?pk_campaign=feed&pk_kwd=postmemory Mon, 10 Feb 2014 18:30:15 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=149 ]]> postmemory - ulrike draesner
Der Begriff stammt von Marianne Hirsch, die ihn erstmals Anfang der 90er Jahre in einem Artikel zu Art Spiegelmans Maus benutzte. Postmemory, so die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Rumänien geborene Literaturwissenschaftlerin auf ihrer Website, beschreibe das Verhältnis der Nachfolgegeneration zu den persönlichen, kollektiven und kulturellen Traumata, die die Vorgängergeneration erfuhr. Hirsch entwickelte das Konzept anhand eigener Erfahrungen sowie unter Auswertung literarischer und künstlerischer Darstellungen des Phänomens der „fremden Erinnerung“. Die Erfahrungen der Vorgängergeneration(en) werden, vermittelt durch häufig mehr oder minder anekdotische oder nur rudimentäre Erzählungen, Bilder und Verhaltensweisen, inmitten derer die Nachfolgegeneration aufwuchs, „erinnert“. Hirsch beobachtet eine derart intensive Weitergabe dieser Erlebensinhalte, dass Kinder und Kindeskinder sie als eigene Erinnerungen wahrnehmen. Postmemory bedeutet eine Verbindung in die Vergangenheit im wesentlichen durch Imagination, Projektion und nachempfindende Erfindung. Wer mit überwältigenden, ererbten Erinnerungen aufwächst, beherrscht von Geschichten, die der eigenen Geburt oder Bewusstwerdung vorausgingen, stehe, so Hirsch, in der Gefahr, die eigene Lebensgeschichte zu verlieren: sie wird durch die Vorfahren verschoben, sogar entleert. Zumindest indirekt wird sie durch traumatische Bruchteile von Ereignissen geformt, die sich, jedes Verstehen übersteigend, der (Be)Sprechbarkeit noch immer entziehen. Die Ereignisse liegen in der Vergangenheit – ihre Wirkungen zeigen sich heute.

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Memories Cascading https://der-siebte-sprung.de/memories-cascading/?pk_campaign=feed&pk_kwd=memories-cascading Tue, 04 Feb 2014 09:00:29 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=124 ]]> memories-cascading-ulrike-draesner

memories cascading: ein der Forschungsliteratur zu Postmemory oder transgenerationeller Traumatisierung entnommener Begriff. Was Kinder unbewusst von Eltern übernehmen, betrifft nicht nur Gefühle, Gefühlsstrukturen und Habitus, sondern kann Träume und Ängste generieren und zur Entwicklung körperlicher Symptome führen. Manchmal, wenn ich von meinem Romanprojekt erzählte, antworteten mir Freunde oder Bekannten, dass sie manchmal Träume träumten, die sie dem Leben eines ihrer Elternteile zuordnen könnten. Begleitet von irrationalen Ängsten vor Hunger, Schnee oder Regen, davor, dass ein Geschwisterkind sterben könnte, vor Donner und Blitz. In manchen Wochen sei das intensiv, in anderen verschwinde es zur Gänze.
Das Phänomen ist bekannt, doch wenig erklärt. Memories cascading – Erinnerungen, die wie Wasser, mit Druck, durch den Kopf rauschen, dabei fallen und verharren, wieder fallen, scheint mir ein gutes Bild dafür. Ein unwillkürlicher Prozess – Fall und Weiterfall des Falles, Flüchtling gewesen zu sein.
In den 90er Jahren kannte ich einen amerikanischen Dichter, der, obwohl er erst in seinen 40ern war, starke, bis zur Lähmung führende Rückenprobleme bekam. Als ich ihn ein halbes Jahr später wiedertraf, ging er aufrecht und erzählte, dass die Ursache nach langen aufwendigen Untersuchungen herausgefunden worden sei: er hinke, obwohl es keinerlei anatomische oder andere eigenkörperliche Gründe dafür gebe. Sein Vater allerdings habe auf Grund einer Kriegsverletzung auf dem linken Bein gehinkt – mein Bekannter hatte als Kleinkind diese Gangart übernommen, weil er es für die einzige Weise hielt, sich durch die Welt zu bewegen. Sein Hinken war dabei so unsichtbar geblieben, dass es nie bemerkt wurde – nur sein Bewegungsapparat hatte darunter gelitten.

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