Fuchs – Sieben Sprünge vom Rand der Welt https://der-siebte-sprung.de Ulrike Draesner Mon, 27 Oct 2014 14:29:00 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4 63645751 Wolf und Fuchs (6) https://der-siebte-sprung.de/wolf-und-fuchs-6/?pk_campaign=feed&pk_kwd=wolf-und-fuchs-6 Mon, 27 Oct 2014 14:25:51 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1129 ]]> © Ulrike Draesner

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Hannes, nach 25 Jahren in München
Wenn man wartet und wartet, sagte ich zu Eustachius, sitzt man irgendwann einfach nur da und nimmt wahr. Das Traumglucksen der Hühner, sagte ich, um ihm nicht vom Krieg zu erzählen, während ich an den Krieg dachte, das Fiepen der Küken, die nicht schlafen, das vereinzelte Gurren von Tauben. Hin und wieder spielt der Wind in ein paar Ästen. Ich erzählte von einer Nacht in Großmutters Stall auf dem Hof bei Netsche. Ich erzählte eine Geschichte vom Kommen, Liegen und Gehen.
Draußen quietscht ein Tor, sagte ich zu Eustachius. Man wartet auf den Fuchs, der bereits drei Hühner gerissen hat. Darf die Augen nicht offen halten, sagte ich, sonst sieht man jede Mücke, die man längst hört, und jeden Nachtfalter, den man ebenfalls hört. Man sieht den Schatten der Hühner über die Wand gleiten, wenn sie hudern, was man ebenfalls hört. Das Einzige, was man nicht hört, ist der Fuchs, wie er umherschleicht, sagte ich, um nicht an den Krieg zu denken, während ich von ihm sprach.
Du musst die Augen im rechten Moment öffnen, sagte ich, und er, beim ersten Erzählen noch ein Kind, fragte: »in seinem oder deinem?«, worauf ich keine Antwort wusste, erst später, im Krieg in Polen, begriff ich, dass der rechte Augenblick jener war, in dem dieser Unterschied verschwand.
Schau, sagte ich zu Eustachius, wie vorsichtig er die unsichtbaren Fallen umgeht und auf einem Brett balancierend beginnt, am eigens für ihn aufgestellten Gänseschmalz zu schmatzen. Das ist so laut, dass er selbst nichts mehr hört. In diesem Augenblick kannst du dich bewegen, das Gewehr entsichern und dich in Position bringen.
Ich lernte von diesem Fuchs, sagte ich zu Eustachius, dass man im Kampf keine zweite Chance hat. Ich saß bei Oma im Stall, sagte ich, am falschen Ort, er roch mich und strich die gesamte Nacht nur vorbei und vorbei. In der dritten Nacht kam er in die Wärme zu den Hühnern und mir, und als ich abdrückte, war das Gewehr nicht mehr scharf. Ich hatte es geladen, den Schuss kontrolliert und nicht nachgeladen. Er verschwand, ich wartete. Mittlerweile hatte ich die Verbindung zu ihm verloren, und als er zurückkehrte und ich schoss, erwischte ich ihn, ohne ihn zu töten.
Noch am Ende meiner letzten Jagd, als ich längst nicht mehr reiten konnte, humpeln nur am Stock, jeder Jagd abgeschworen hatte, glaubte ich, die Lunte dieses Fuchses zu sehen, rot der Pelz, die Blume weiß, wandelnd, erhoben, eine Blüte auf blutfarbenem Stängel – und wir beide, der Fuchs und ich, der Leisetreter und der Eisenmann, lebendig und jung.

Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Hannes, nach 25 Jahren in München” ist der letzte von sechs Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.

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Wolf und Fuchs (5) https://der-siebte-sprung.de/wolf-und-fuchs-5/?pk_campaign=feed&pk_kwd=wolf-und-fuchs-5 Thu, 23 Oct 2014 08:48:52 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1087 ]]> © Flickr.com/Steve and Shanon Lawson

© Flickr.com/Steve and Shanon Lawson

Hannes erzählt
Eustachius kam im Dezember 1930 zur Welt. An einem noch winterlichen Morgen neun Monate zuvor war unvermittelt ein Altfuchs ohne Deckung am Bach gestanden und hatte mich angeschaut, als habe er mich gesucht. Reif glitzerte, über dem Wasser zerriss der Nebel in Schwaden. Der Balg des Fuchses leuchtete hellrot, die prächtige Lunte schwang dunkler mit schneeweißer Blume. Das Gehöre drehte sich ununterbrochen nach dem Rauschen der Bäume, den Kopf indes hielt er so still, als böte er mir Paroli. Seine Augen taxierten mich mit der Schätzkraft des erfahrenen Raubtieres, gejagt und über all die Jahre entwischt. Es war, als wolle er mir etwas sagen, und er sagte es. Es war fremd und gewitzt.
In aller Ruhe, stolz, drehte er auf der Stelle, warf mir einen letzten Blick zu und schnürte Richtung Wald.
Im April 1920 hatten wir geheiratet. Etwas Vornehmes ging von Lilly aus: das hellblonde dünne Haar, das in der Nase kitzelte wie nichts sonst auf der Welt, die fast durchsichtige Haut. Mit ihrer leicht schnarrenden Stimme zog ich sie auf. Runde Brüste, das hatte ich noch vor der Verlobung durchs Kleid gesehen. An meiner Brust hing das Eiserne Kreuz Erster Klasse, die Tapferkeit. Niemand schalt mich mehr, selbst Mutter gehorchte. Eisern wie das Essgeschirr. Ich musste die Augen schließen, als ich vorm Altar »ja« sagte, »ja«.
Woran ich nicht mehr glaubte, ging keinen etwas an.
Nicht einmal mich selbst.
Am Abend des Waldtages fast zehn Jahre später trug Lilly Fuchslichter in den Augen. Wir waren vorsichtig, wir hüteten uns, wir hatten Angst vor einem zweiten Kind, wir vergaßen es.


Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Hannes erzählt” ist der fünfte von sechs Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.

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Wolf und Fuchs (4) https://der-siebte-sprung.de/wolf-und-fuchs-4/?pk_campaign=feed&pk_kwd=wolf-und-fuchs-4 Mon, 20 Oct 2014 08:29:01 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1083 ]]> Hubertushöhe, Okt. 2005, © Ulrike Draesner

Hubertushöhe, Okt. 2005, © Ulrike Draesner

Eigentlich aber ist es der Fuchs, der zu Hannes gehört
Ein Sprung Rehe, eine Rotte Wildschweine, ein Rudel Hirsche. Ich wusste, in welchem Alter und zu welcher Jahreszeit man den Bock schießt, warum das austretende Blut Schweiß heißt, wie die Fähe aufmerkt, wie früh sie die Hunde hört. Die Männer, die ich beobachtete, trugen Hosen und Jacken in der Farbe der Bäume, Moosgeruch hing ihnen im Haar. Ich lag am Rand einer Lichtung, besser versteckt als das Wild, und sah, wie stark und empfindlich sich das Leben in allem Gejagten zu retten sucht. Zum großen Herbsthalali Wilhelms von Preußen gab man mir eine orangefarbene Strickweste, damit keiner aus Versehen auf mich schoss. Die Treiber schrien und schlugen gegen die Stämme der Buchen, feuchte Hundenasen, einen Millimeter über dem Waldboden, folgten dem Schweiß.
Herr Priebke, der Förster, schenkte mir ein Stück Hasenrücken und sagte: »Wenn du Zeit hast, schau vorbei, kleiner Fuchs.«
Ich hatte braunes, etwas rötliches Haar. Klein war ich nicht: 14 Jahre alt, 175 Zentimeter. Ich schwamm viel, meine Schultern wuchsen, die Stimme brach.
Priebke bot mir an, bei ihm in die Lehre zu gehen. Mit den Worten, die er mir beibrachte, konnte man sehen: Querco-Fagetea, Fagetalia sylvaticae. Rotbuchen warfen stärkere Schatten, Eicheln rollten unter den Schuhen. Quercus robur, Quercus petraea. Grausilbern brach die Borke der Weißtanne, Urlensamen drehten im Wind. Der Förster lachte über den Kampf meiner Zunge mit dem Latein und zeigte auf die letztjährige Kraft: In Form von Nadeln und Blättern lag sie am Boden, als farbiges Moos wuchs sie daraus hervor. Der Eichen-Hainbuchenwald. Die Stille roch nach Käfern und Pilz. Knabenkraut blühte blaulila auf langstieligen Ständen, die Große Sternmiere trieb weiße Blüten in Rispen aus einem weit gebreiteten Rhizom.
»Alles, was man sieht«, sagte Herr Priebke, »hat ein Gegengewicht in der Erde.«
Ich nickte halb abwesend, kletterte hinter ihm in den Hochsitz, hielt still, roch den Wald, das Leder der Förstertasche, das Metall des Gewehrs. Es wirkte in zwei Richtungen, so stark schlug es zurück. Auch das könne ich mir merken, sagte Priebke. Nie im Leben gäbe es einen Schlag ohne Gegenschlag.
Manche Füchse waren magisch geschützt. Wider alles Wissen und Verstehen glitten die Kugeln an ihnen ab.
In diesen Fällen, sagte der Förster, gibt man auf.
Einmal sah ich es: Er lachte, gab auf.


Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. ”Eigentlich aber ist es der Fuchs, der zu Hannes gehört” ist der vierte von sechs Beiträgen, die wir Ihnen unter dem Titel “Wolf und Fuchs” vorstellen möchten.

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Gehöre https://der-siebte-sprung.de/gehoere/?pk_campaign=feed&pk_kwd=gehoere Thu, 04 Sep 2014 09:34:56 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=864 ]]> Rød_ræv_(Vulpes_vulpes)

Gehöre, das: jägersprachliche Bezeichnung für die Ohren des Fuchses.
 
 
Bild:„Rød ræv (Vulpes vulpes)“ von Malene ThyssenEigenes Werk. Lizenziert unter CC BY 2.5 über Wikimedia Commons.

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