Breslau – Sieben Sprünge vom Rand der Welt https://der-siebte-sprung.de Ulrike Draesner Mon, 17 Nov 2014 13:17:27 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4 63645751 wulkan https://der-siebte-sprung.de/wulkan/?pk_campaign=feed&pk_kwd=wulkan Mon, 17 Nov 2014 12:17:21 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1168 ]]> © Ulrike Draesner, Polen 2012

© Ulrike Draesner, Polen 2012

wulkan

(lwiw – wrocław – berlin)

 

weißt du wie es ist wenn man
schleudert (das fallende laub) fragte er
mit weicher polnischer ruhe:
wulkan.

die lage der kanten das porzellan
sagte er alle gegenstände des hauses
erinnerten an eigene bedürfnisse: fotos
von kindstaufen eine blau träumende
kommode mit stolzierendem emaillepfau
der wein vom hochzeitsjahr

der anderen.

noch warm ihre deutschen lippen
noch auf den gläsern
der spüle. wir schämten
uns nicht des nehmens
des sehens wohl. so
kamen wir
nicht an.

wulkan.
lebensbild

hergebracht. gemälde
aller schatten an der wand
schichten aus mensch gestapelt
fruchtbar heiß, erstarrt. im eigenen
dreißig jahre auf gepackten koffern
gesessen: was fliehen
in geflohenes
heißt.

zersägten
das bett die anderen

um zu heizen den einen geretteten
sack das holzbein des toten sohns.
ich kann ihre hände sehen vater
großvater großmutter ihre nägel
sie hatten nicht alles verloren
fast noch alle teile des körpers
bei sich noch etwas seele –
vielleicht

man legt sich nieder und liebt sich
in europäischem gras. ein turm
ragt auf, aus eisen und rekonstruktion
das ist normal. eine straßenbahn
fährt. das herz wulkan
weich gegen die wände
huft in einem brüchigen
polnischen stall.

 

aus: Ulrike Draesner: Subsong, Gedichte, Luchterhand Literaturverlag.

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hmK: Bin ich eine „Flucht-Gewinnlerin“? https://der-siebte-sprung.de/hmk-bin-ich-eine-flucht-gewinnlerin/?pk_campaign=feed&pk_kwd=hmk-bin-ich-eine-flucht-gewinnlerin Mon, 06 Oct 2014 14:38:37 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1047 ]]> Ich bin Jg.1943 und komme aus tiefster bay. Provinz (Grenzgebiet am ehem. Eisernen Vorhang). Meine Muttersprache ist der oberpfälzische Dialekt – mit ca. 6 Jahren war ich aber bereits zweisprachig: Hochdeutsch als erste Fremdsprache – und das verdanke ich schlesischen Flüchtlingskindern aus dem Breslauer Bürgertum mit einem wunderbaren Hochdeutsch. Diese Kinder wurden meine Spielkameraden. Vielleicht war das einer der Gründe für ein späteres Studium der Germanistik und Sprachwissenschaft.

(c) hmK, 2014

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In der Rubrik “Selbst-Erzählen” veröffentlichen wir Texte von Lesern.

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Zugfahren (2) https://der-siebte-sprung.de/zugfahren-2/?pk_campaign=feed&pk_kwd=zugfahren-2 Thu, 25 Sep 2014 07:41:45 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=1006 ]]> Der Bahnhof von Wrocław

Der Bahnhof von Wrocław

Lilly erinnert sich

Drechslers hatten uns ein Stück mit ihrem Holzvergaser mitgenommen, drei Kilo Holz ersetzten einen Liter Benzin, statt zu fallen, schienen
die Flocken auf der Stelle zu schweben, so gleichförmig, dass der Wagen ins Endlose rollte
dann torkelten sie zur Erde, Motorschaden, die letzten fünf sechs Kilometer waren wir gelaufen, die dicken, verschneiten Bäume, der
Puusch, minus 20 Grad, wer konnte das
erschleppen
hohe Tannen und Buchen, Untergehölz, Emil humpelte schrecklich trotz des Maßstiefels aus Prag, Sonderanfertigung aus der Zeit vor dem Krieg, auf der anderen Seite glich ein ebenso maßgefertigter weibisch hoher Schuh den Unterschied der Beinlängen aus
der Aufbruch war Emil, dem armen
Krawitschl, in die Schenkel gefahren, er konnte sie kaum mehr koordinieren, schalteten wir
die Taschenlampe an, wurde nichts besser, ringsum strahlten die Waldesstämme auf, unheimlich
nah und geduldig
ragten die Bäume nach oben, halbschlafend
unter ihrem Schnee. In mir ging das Haus, langsam verglühte in seinen Zimmern die Wärme, langsam verglühten dort wir, ich dachte, wie am kommenden Morgen Eisblumen über das Küchenfenster zögen
wie immer, sie würden über die Scheiben wachsen, das also bliebe, unser Haus ein Garten
aus Eis.
Weit nach Mitternacht hatten wir den Breslauer Hauptbahnhof erreicht, Türmchen und Zinnen, die einst märchenhaft zuckrige, nun tröstliche Burg. Ich kannte jede Ecke, hätte mich im Dunkeln zurechtgefunden; es war dunkel, statt des Bahnhofs fand ich ein schorfiges Gelände aus Gepäck und Mensch. Dicht an dicht zusammengeschoben, ineinander verkeilt: Koffer, Rucksäcke, Hand- und Kinderwagen, Radbehren, Säcke, Bündel und Decken. Daran gelehnt oder daran geschnallt Frauen, Kinder, Greise, Lahme und Kranke, beängstigend
still. SS
und Polizei patrouillierten. Die hohen Stadthäuser, Fassaden voller Erker und Gesimsen, lagen ebenfalls dunkel, keine Laterne brannte, die Stadt versuchte, sich zu verstecken, nicht dazu sein, heimlich von ihrem Erdboden zu kriechen, viele Wohnungen standen wohl bereits leer, in the dead
of the night, hörte ich später, ein Leben später, just tell us
how did you leave?
how did it break your heart?
die Amis waren simple and straightforward, „tell us“, die Amis wussten Bescheid und waren ahnungslos, Mai einsneunvierfünf.
Lilly, das Kind, hatte den strahlend weißen Zuckerbahnhof geliebt, eine mittelalterliche Wunderburg, Fialen, Flaggen, Fenster, der Eingang von zwei orientalisch anmutenden Uhrtürmen bewacht. Glitzernd und immens öffnete sich hinter den schwingenden Türen die Prunkhalle, goldenes Laub berankte ihre Wände, die Luft, die man atmete, schmeckte nach
Dampf, Schmieröl und Welt
nach Blumen aus den Kiosken und Zuckerwatte. Schlanke, aus den Mauern lehnende Frauengestalten trugen Kerzenlampen, Lüster schwangen von den Decken, durch das teure Opakglas im Dach der zweischiffigen Wandelhalle schienen Sonne, Mond und
unwandelbare Sterne
auf den Express Breslau-Berlin, Breslau-Lemberg, Breslau-Moskau, Zeitungsverkäufer schrien Schlagzeilen aus aller Welt, hinter ihnen ragten die Gleise aus dem Bahnhof, den allein schon man in seiner Höhe und Weite nicht begreifen konnte, in die versprochene, unausdenkliche Ferne.
Das alles war weg.
In der kalten Halle stand zu Tausenden das neue Wesen Gepäck+Mensch. Die elektrische Notbeleuchtung an den Wänden brannte, wiederholt kreisten Taschenlampenstrahlen über uns, ein Gesicht leuchtete unter einer Mütze auf, fragend, ängstlich, stumpf, ein Mädchen
mit roter Mütze, ein Junge, kaum jünger als Eustachius, der schrie, eine hudernde Mutter, jedes
Bild ging so rasch unter, wie es erschien, wir waren nun
zur Gänze
Teile des Endes, wie Rinder, die Köpfe gesenkt
verharrten wir in unseren Atemnebeln, willfährig
noch immer führbar
grauschwarz. Der Kriegsbahnhof war untergegangen, verschwunden der Bahnhof der Messerminuten: Hannes fuhr an die Front, der Herzensminuten: Hannes kam zurück, die SS
hatte das gesamte Abfahrts- und Ankunftsareal linkerhand sowie das linke Seitenschiff gesperrt, vor uns lag
der AUFBRUCH
das riesige, steinerne, zugige AUFBRUCHSTHEATER
seine Bühne der Bahnsteig
leer, abgesperrt, die Herde Gepäck+Mensch reglos davor, als Requisite ein Zug, lang, dunkel, ersehnt
ungewiss.
Wir schafften es nicht in den ersten, zu plotschig, zu unerfahren, man durfte nicht denken: „Den einen Zug treffen Bomben, den anderen nicht“, so oder so säße man gefangen im Waggon, schon im Bahnhof lagen wir wie Fische in der Dose, es war unsinnig, Angst oder Gedanken zu haben, Spatzen hockten auf den Eisenträgern unter dem Glasdach und putzten ihr Gefieder, wie dumm sie waren, nun sah ich es, noch immer steckten sie den Kopf unter die Federn und glaubten, dann geschehe nichts. Wir hatten stillgehalten, noch die Federn geplustert, um größer zu wirken, Volk, Führer, Vaterland, alles ging gut, besser als erwartet, und als es anfing, schlechter zu gehen, schlossen wir die Türen, versteckten die Köpfe, schalteten es aus, das Gehirn, fuhren ihn runter, den Herzschlag, fürchteten uns möglichst so, dass wir es nicht merkten, Emil
klammerte sich an mich, flüsternd
besprach Lilly sich mit Eustachius, ich sehe uns da am Boden sitzen, das dämmrige Licht selbst Tags, die Versuche, sich zu wärmen, Mittags gab es Kaffee, eine echte Plärre, immerhin heiß, doch wärmte die Hände, ich schlürfte, kauerte mich zusammen, die SS
marschierte auf und ab, unsere
eigenen Männer und Söhne bewachten uns, sie waren bereit, uns zu schlagen, schlugen längst, wenn einer nicht gehorchte, seltsam, dachte ich, dieser
Krieg wächst
und wächst, alle Schatten
an den Wänden zuckten auf, ich wickelte mir das eine Ende meines Schals ums Handgelenk, knotete das andere um Emils Hals, zog ihn eng an mich heran, sehr eng, er schrie und gurgelte, Eustachius‘ Idee, wir hatten Emil nicht eingeweiht, man zuckte zurück vor dem jungen, offensichtlich fassungslosen Mann, es schuf uns nicht viel Platz, doch half, und Eustachius, hochgewachsen, brutal, Eustachius, die Klinge, drängte für uns voran. Koffer Säcke Taschen Deckenbündel Menschen wurden
gehievt, SS
schrie prügelte pfiff
schob den Riegel vor, der Waggon dämmrig, stickig, alle Sitze herausgerissen, die Fenster vernagelt, es fehlte das Glas, durch die Sicht- und Atemschlitze pfiff der Wind, endlich, wir fuhren, standen prompt wieder, Tür auf, Gepäck+Mensch kam nach, man quetschte, prügelte, verriegelte, wir hörten den Pfiff der Lok, spürten die Bewegungen Eisen
auf Eisen, fuhren, es war dunkel, draußen und zwischen uns, zwischen uns kroch die Dunkelheit umher, suchte die Finger, die Koffer, die Knochen, die Gedanken, das Ich, schloss sich darum.
Einer Horde Affen gleich, stumm und geduckt, saßen wir im Käfig und lasen uns, kaum fiel etwas Licht durch Ritzen und Luken, die Läuse ab, sie übertrugen Flecktyphus, tödlich, wir fürchteten uns, lebten noch. Die Sonne stand weit über dem Horizont, über unseren Horizont ging sie längst, der Zug ruckelte, bremste, hielt
Türen auf, Luft und Licht strömten wie Schläge auf uns ein, Patrouille SS: „Was tut
der große Junge da?“ Sie
wollten Eustachius mitnehmen, obwohl er zu jung war, sogar Emil kontrollierten sie, er musste seinen Schuh ausziehen, mit vor Hoffnung glänzenden Augen sah er die Schwarzuniformierten an, als
sie fort waren, zitterte hinter ihnen die Luft, ich fand kein bekanntes Gesicht mehr unter
den Schals, wir waren alle
verändert, kannten uns nicht mehr, glichen einander nur stärker als zuvor
hatten ein Stück unserer Geschichte aus den Gesichtern verloren als machten die Gesichter
sich leer, schlauer als wir, leer für die Geschichte
die nun begann, die große Flächen brauchte, viel vom Menschen, von uns verbrauchte – für sich.
Emil neben mir, das Jingla, kroch in sich zurück. Die SS
hatte ihn verschmäht, er schwieg tagelang.


”Lilly erinnert sich” ist der zweite Beitrag der neuen Serie Wegstücke. Durch den Roman ziehen sich zahlreiche Mikrogeschichten und Reise- wie Lesewege. Der erste, den wir ihnen in drei Auszügen vorstellen wollen, steht unter dem Titel “Zugfahren”.

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BGK: Zwei Breitengrade Südsüdost. https://der-siebte-sprung.de/bgk-zwei-breitengrade-suedsuedost/?pk_campaign=feed&pk_kwd=bgk-zwei-breitengrade-suedsuedost Mon, 30 Jun 2014 10:49:00 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=581 ]]> Zu Ulrike Draesners Roman Sieben Sprünge vom Rande  der Welt

Rubrik ‚Selbst Erzählen’. von BGK, 2014

 

 „Wo – wo sind wir zuhause?“ (Simone Grolmann)

 

    Ich bin irgendwo zwischen dem dritten und vierten der Sieben Sprünge vom Rand der Welt, als es an der Haustür klingelt, und die Nachbarin, eine rüstige Frau in ihren späten Achtzigern, mir einen Teller mit Streuselkuchen bringt – nicht selbst gebacken, nein, viel besser, von einer Reise mitgebracht aus der Gegend um Wrocław. Sie haben doch mal erzählt, Ihre Mutter kommt von dort. Ich stehe in der offenen Tür, schaue auf den Kuchen und bin konsterniert über dieses merkwürdigen Zusammenspiel, das man Zufall nennt; ein viel zu schwaches Wort für das, was sich hier mal wieder abspielt, finde ich. Klingt mir doch seit der ersten Seite das Stresla in den Ohren, verschwindet nicht, wird immer vielstimmiger. Stresla. Schmecken nach guter Butter, Vanille, Zimt und einer schnellen Sprache, in der alles auf a endet. Auch in meiner Kindheit gab es schlesisches Großelternwohnzimmer im Hochparterre. Dort saß man, wenn die Familie zusammenkam, auf Sofa, Sesseln, Sessellehnen, auf allem, worauf man sitzen konnte im sozialen Wohnungsbau der 1950er Jahre. Ferne frühe Familienfeiern. Feiern einer Fluchtfamilie. Der Streslakucha kommt nicht aus einem Backofen in Strehlen/Strzelin, sondern aus einem in Bielefeld. Flüchtlingsstrom entlang der Breitengrade 51/52, 600 km Luftfluchtlinie, Westnordwest.

Wenn die Großeltern ihrer Mundart freien Lauf lassen, stimmen ihre Kinder mit ein. Keine zehn Jahre waren sie alt, als sie Schlesien hinter sich ließen mit Tisch und Bett, Boden und Luft. Der Klang flüchtete mit ihnen. Er brauchte kein Extrabündel, er saß fest im Gewebe von Kehle, Ohr und Mund, und doch zerrte er sich auf, verflüchtigte sich mit der Zeit. Gut so, denn die Flüchtlingssprache machte es ihnen nicht leichter in der Schule.  Wie sprechen die denn? fragen die  Mitschüler und rücken auf der Bank mehr zur Seite als sie müssen. Man hatte ihnen erzählt, in Schlesien hause man in Erdlöchern, sagt meine Mutter. Drei-viermal im Jahr läßt er sich wieder einfangen dieser Klang. Dann lassen meine Mutter und ihre Brüder die Zungen tanzen im Stresla-Fest, ziehen sich gegenseitig hinein in Kaskaden mit kurzem a und langem i, in Wörter, von denen sie gar nicht wissen, daß sie sie verstehen, daß sie sie sagen können. Die Kleinen, die westfälisch sprechen und norddeutsch, werden still. Sie sperren die Ohren und Augen weit auf und genießen das Schauspiel. Komische fremde Welt. Großfamilienfestsprache für Große. Wohnzimmersprache. Lachsprache. Eine Sprache, die immer schneller wird und wilder, die unbändiges Lachen mit sich bringt, ein Lachen, wie es sonst nie gelacht wird.  Die Augen werden ganz schmal, die Körper beben, die Tränen laufen die Wangen hinunter. Die Stimmen verausgaben sich in der Freude über ein wiedergefundenes Idiom; nicht das der Ausgegrenztheit, der Erdhöhle, sondern das der Welt, in der man jung gewesen ist, geheiratet hat, das Goldschmieden gelernt hat, das Kochen, das Nähen und den Verkauf von Stoffen. In der die Kinder geboren wurden, man sonntags am Ring promenierte, in der man das Radfahren gelernt hat und das Skifahren auf Gurkenfaßbrettern. In der es Mohnskließla gab  in der Heiligen Nacht. Aber davon ist hier nicht die Rede. Hier wird erzählt von dem Leben, wie es jetzt ist. Vom Handel mit Töpfen und Kravatten auf den westfälischen Märkten, vom Paddeln auf der Weser, von den bunten Geschöpfen einer Hafenstadt, die sich das Tor zur Welt nennt. Ganz im Jetzt und ein bißchen im Morgen. Kein Gestern. Das Schlesische ist nicht ihr Gegenstand, es ist ihr  Medium. Von Heimat ist nicht die Rede und nicht von Landschaft. Arm waren sie und haben nicht viel zurückgelassen an beweglichen und unbeweglichen Gütern. Haben sie überhaupt zurückgeschaut? Wo haben sie ihre Erinnerungen gelassen? Weggeschraubt in den alten Keks- und Kaffeedosen, die oben auf dem Schrank stehen?

Meine Mutter hat nie gesprochen von  Wiesen, Feldern, Flüssen und Bäumen und Bergen. Nur den Schnee gibt es. Meterhoch, sagt sie, meterhoch zu beiden Seiten. So seien sie zur Christmesse gegangen zu Weihnachten, auf einem schmalen Pfad. Schnee war lange Zeit das einzige Bild, das ich von der Heimat meiner Mutter hatte. Ein weißer Fleck Familiengeschichte. Als meine Schwester, die einen polnischen Mann geheiratet hat, von einer Reise zurückkam, in der sie das Geburtshaushaus meiner Mutter aufgesucht hatte,  brachte sie ein Photo mit, das auf der Rückseite dieses Hauses eine sommerliche Landschaft zeigt: Blumen, Sträucher, Felder, Birken, Wiese. Ich war so erstaunt darüber, als hätte ich wirklich gedacht, sie hätten sommers in der Erde, im Winter zwischen Schneewänden gewohnt. Ich habe es sofort geliebt, ich habe den Heckenrosenduft gerochen, das Flirren der Sommerinsekten gehört, und mir gedacht, sie müssen es doch auch geliebt haben, und wahrscheinlich haben sie deshalb nie wieder davon gesprochen. Hätten sie davon gesprochen, wären ihnen die Tränen gekommen und die Tränen hätten ihnen die Worte genommen und am Ende wäre ihnen dann das Schlesische als Feiersprache und Lachsprache abhanden gekommen. Retten was zu retten war. Bettdecken, ein bißchen Schmuck, den Willen zum Witz. Damit durch den Krieg kommen, durch einen Krieg, von denen die im Frieden geborenen Kinder und Enkelkinder ihnen bittere Wahrheiten vorhalten werden, wieder und wieder. Sie sind den Landsmannschaften fern und wollen doch ihr individuelles Leid nicht anrechnen lassen  auf eine kollektive Schuld. Also wird eher nicht davon gesprochen. Manchmal doch, wenn sie die Köpfe dicht zusammenstecken, ein Kabel  reparieren, Wäsche sortieren, dann werden ihnen die Kehlen plötzlich eng, raue, abgerissene Wörter kommen heraus, die die Kinder und Enkelkinder sich erst viel später, im nachhinein, zusammenreimen. Die Männer über die Front und die Kriegsgefangenschaft. In halben Sätzen, mit fortwährend nickenden Köpfen (als wollten diese Köpfe sagen: Wir wissen ja alles, alles, was immer Du sagen wirst, komm, laß uns wieder schweigen.) Die Frauen über Vergewaltigung, fast ohne Worte, die Blicke gehen auf den Boden (einem Boden von dem sie gehofft haben mögen, er würde sich auftun und sie verschlingen, Du brauchst mir nichts erzählen.)

 

Da steht die Nachbarin vor der Tür, mit dem Kuchenteller in der Hand. Sieht nichts von den übereinanderstürzenden Flashbacks in meinem Kopf, fragt nach, irritiert über mein Schweigen:„Oder habe ich das verwechselt?“

„Nein, nein, wie wunderbar! Gerade habe ich an Stresla gedacht, ob Sie’s glauben oder nicht, herzlichen Dank!“

Sie nickt. „Er schmeckt doch anders dort“. Der echte Streuselkuchen. (Bin schon wieder im Buch…) Wir verabreden uns zum Kaffee.  Den Kuchen stelle ich in die Küche. Dort lungert mein Sohn herum: „Was hast Du da?“

„Stresla.“

„Was?“

„Streslakucha –Streuselkuchen.  So hat man gesagt, dort, wo die Oma als Kind zuhause war.“

„Mmh. Krieg ich ein Stück? Weißt Du, eigentlich ist Streuselkuchen der einzige Kuchen, den ich mag.“

Die Bäcker hier bieten belgische Waffeln an, russischen Zupfkuchen an, New York Cheese Cake, Schwarzwälderkirschtorte, Schwäbischen Apfelkuchen, Muffins und Cookies mit doppelt Schokolade. Aber er ißt nur Streuselkuchen. Und ich habe nie einen gebacken. Ein Lachen,  mir selbst nicht ganz geheuer, steigt in mir auf.

„Warum lachst Du?“

„Über Deinen Lieblingskuchen. Ausgerechnet Stresla. Und darüber, daß ich nie backe.“

„Wo ist das nochmal, wo die Oma herkommt?“

„Früher Schlesien, heute Polen. Nicht weit von Breslau.“

„Wie sieht es dort aus?“

Ulrike Draesners Buch liegt auf dem Küchentisch. Weites wogendes Feld, ein düsterer Himmel. Ich zeige darauf. Vielleicht so.

„Wirklich?“

„Ach, ich weiß es gar nicht. Ich habe nur einmal ein Photo gesehen, Wiesen und Felder und eine Hecke und viel Himmel.“

„Himmel gibt´s doch überall.“

„Aber nicht denselben.“

„Natürlich denselben.“

„Meinst du?“

Er liest über Kopf: Sieben Sprünge vom Rand der Welt. „Geht doch gar nicht. Wenn die Welt rund ist, eine Kugel, meine ich.“

„Blöd ist, daß man trotzdem aus der Welt fallen kann.“

Er schaut mich an, zweifelt an meinem Verstand. Erst meint sie, es gäbe verschiedene Himmel und am Ende hat sie selbst die Geschichte mit der Erdkrümmung nicht verstanden. Grundschulstoff.

„Weißt Du, ich habe da gerade eben eine Stelle gelesen, da erinnert sich ein alter Mann an die Landschaft seiner Kindheit, nicht weit von dort, wo die Oma herkommt. Ich lese sie Dir mal vor, sie könnte Dir gefallen, es geht auch um Schuleschwänzen und große Ferien. Außerdem ist es da gerade Juni. Wie jetzt. Hör zu:

 

Den Juni hatte ich am meisten geliebt, fahlgrün, gelbgrüngrün, eben erst fing der Sommer an, alles lag noch vor einem, anders als im August, wenn gegen Ende des Monats die ersten trockenen Blätter in den Bäumen hingen, und das Licht mit einem Ruck gelber und merklich kurzstrahliger wurde. Im Juni standen die Sommerferien vor der Tür, welches gloriose Gefühl. Das war Zuhausesein: die letzten Schulwochen hindurch brach ich morgens früher, als ich  musste, mit dem Fahrrad auf, sauste vorbei an den Vorgärten der Kronprinzen- oder Beethovenstraße mit ihren Jasminsträuchern und Rosenbüschen, vermied jeden Seitenblick auf die Evangelische Knabenschule und rauschte unter der Eisenbahnbrücke hindurch in die Freiheit. Felder säumten den Weg, eine Wiese mit kleinen Teichen, die selbst im Sommer nicht austrockneten, als flössen der Oder selbst hier, viele Kilometer von ihrem Bett entfernt, unterirdische Rinnsale speisend zu. Weiden warfen ihre Schatten auf die zahlreichen Holzstege über den Bächen, schwangen ihre biegsamen Äste wie Frauenhaar in der milden Luft. Ich fuhr den Hügel hinauf, das letzte Stück ging ich zu Fuß, auf der Kuppe kreuzten sich die Spuren von Rehen, Füchsen und Hasen. Die Steine lagen warm im Boden, ich spürte sie durch die dünnen, allzeit abgewetzten Sohlen meiner Sandalen, und die Erde war erdig, erst im Juli verwandelte sie sich in Staub. […… ……] Die Kornfelder wogten, ich sah den Wind in mächtigen grüngelbbraunen Wellen durch sie hindurchgehen, das Getreide wuchs höher als heute, vernehmlich raschelten die Halme, als wollten sie alle Kraft eines biegsamen Lebens vorführen. Ihr Geräusch machte die Umgebung auf eine Weise still, die mich mehr beruhigte als jede tatsächliche Geräuschlosigkeit.

Esther hatte mir vor kurzem vorgelesen, dass das  chinesische Wort für „unendlich“ , mangmang, vom Wogen der Ähren im Wind stammt: als unendlich werde bei den Chinesen nicht die Salzsee empfunden, sondern das Wachstumsmeer, das goldgrüne Rascheln der Materie. Die Kornfelder bei Leuchten waren meine Ewigkeit. (S.183f.)

 

„Und Du meinst, die Oma hat auch so was gemacht, vor der Schule in die Felder fahren und so?“

 „Glaub ich nicht, das wäre eher Opas Art gewesen, aber diese goldgrünen mangmang-Felder, die müßte  sie eigentlich auch gesehen haben. Von so etwas hat sie aber nie gesprochen.“

„Wir können ja mal hinfahren und nachsehen, ob es diese MangMangs wirklich gibt.“

„Hm. Ich wüßte auch gern, ob  es am Rande der MangMangs Mohnblumen gibt. Der schlesische Mohnkuchen ist ziemlich berühmt, eigentlich müßte es dort auch mangmang viele Mohnblumen geben.“

„Klar. Warum nicht?“

„Weil mir die Oma auch davon nie was erzählt hat. Müsste ihr doch in Erinnerung geblieben sein, diese knallroten Blüten.“

„Stimmt.“

„Vielleicht war sie zu klein, hatte noch nicht die richtigen Worte dafür, und konnte es deshalb auch nicht erzählen.“

 

Ja, sie war einige Jahre jünger als Eustachius, überlege ich mir. Vielleicht waren ihre Kreise zu klein, um die Unendlichkeit der Kornfelder vor sich zu bringen, aber dieses „Nimm dich in acht“ des Flüchtlingskindes, das Eustachius zur  „heimlichen Melodie des Blutes“, geworden ist, das ist auch sie nie mehr losgeworden, sie hat es weitergegeben, es hat sich angereichert in meinen Adern, hat mich in friedlichsten Zeiten in hellste Panik versetzt. Da habe ich es herausstammeln, herausschreien und herausheulen müssen aus der Heimlichkeit, 3x wöchentlich, auf dem Sofa einer sehr klugen Frau. Talking cure. Ich hoffe, das „Nimm dich in acht“ ist gesundgeschrumpft im Blut meiner Kinder, ausreichend verdünnt, vermischt glücklicherweise mit dem  Lebensmut väterlicherseits.

 

Der kleine Bruder kommt nach Hause. Beteiligt sich am Streuselkuchen. Wird über die Gesprächsergebnisse der letzten halben Stunde in Kenntnis gesetzt.

„Mang mang, cooles Wort, oder? Ist Chinesisch. Das heißt unendlich, dort wo die Oma herkommt.“

„Aber die Oma spricht doch deutsch?“

„So eine Art  Deutsch. Der Streuselkuchen heißt da auch anders. Wie noch, Mama?“

„Stresla. Streslakucha.“

„Und warum gibt´s da auch Chinesisch, mangmang?“ –

„Weil man manchmal in einer anderen Sprache mehr begreift als in der eigenen…“

Beide Jungs sehen mich skeptisch an. Sie redet wieder krauses Zeug. Möchten sie lieber nicht vertiefen. Werden konkret:

„Kannst Du das mal aufschreiben, dieses Mangmang?“

Vielleicht habe ich vor zwanzig Jahren chinesische Schriftzeichen gelernt für genau diesen Moment, denke ich und schreibe es ihnen auf:

 

Sie nehmen das Papier mit, um das Wogen der Ähren im Wind an der Wand ihres Zimmers zu verewigen.

„…. Oder sich mit Tieren besser versteht als mit Menschen. Mit Affen zum Beispiel“, rufe ich ihnen noch hinterher, während ich Ulrike Draesners Buch wieder zur Hand nehme, um zu erfahren, wie es mit  Eustachius Grolmanns zoologischen Lebensabendprojekten weitergeht. Keine Antwort. Ist aber womöglich nicht ganz verloren. Ist vielleicht gelandet im Ordner „Für später mal“.

 

Erst am Abend, kurz vorm Einschlafen, hat sich in mir eine Frage hochgearbeitet: War heute der Tag, an dem ich, eine Weitgereiste, eine, die möglichst immer mit einem Bein im Zug steht, eine, die am liebsten immer eine Fahrkarte in der Tasche hat, nahezu egal, welche, und eine, die in all dieser unablässigen Reiserei eine bestimmte Himmelsrichtung immerzu und geradezu vorsätzlich ausgespart hat, tatsächlich den Entschluß gefaßt haben sollte, dorthin zu reisen, diese traurigen, schwierigen, melancholischen, wütenden, zähen, langen und unabsehbaren 300 Kilometer über zwei Breitengrade Südostost…?

 

(c) BGK, 2014

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In der Rubrik “Selbst-Erzählen” veröffentlichen wir Texte von Lesern.

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Kaffeerösterei Stiebler https://der-siebte-sprung.de/kaffeeroesterei-stiebler/?pk_campaign=feed&pk_kwd=kaffeeroesterei-stiebler Wed, 04 Jun 2014 08:00:28 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=480 ]]> Kaffeerösterei Stiebler: die Breslauer Firma Otto Stiebler Kaffee-Rösterei war das größte Import- und Versandhaus für Lebensmittel im Osten Deutschlands. Gegründet 1895. Das Hauptgeschäft stand seit 1900 am Zwingerplatz in Breslau; man versandte jährlich 50.000 Preislisten weltweit. Heute befindet sich in dem zentral gelegenen Gebäude am Teatralny Platz die Mediathek der Städtischen Bibliotheken.

Bild: Breslau 1939, Zwingerplatz (Plac teatralny) mit Kaffeerösterei Stiebler. CC BY SA NC (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/) auf Panoramio (http://www.panoramio.com/photo/67003899), hochgeladen von Tassilo II

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Breslau 1945 (pl) https://der-siebte-sprung.de/breslau-1945-pl/?pk_campaign=feed&pk_kwd=breslau-1945-pl https://der-siebte-sprung.de/breslau-1945-pl/?pk_campaign=feed&pk_kwd=breslau-1945-pl#respond Tue, 03 Jun 2014 12:02:35 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=550 ]]> Mam osiem czy dziewięć lat, jestem u babci i dziadka, w salonie. Ojciec rozmawia z dziadkiem.

Wiem, co to takiego Fest, święto. Ale co znaczy Festung, twierdza?

Okładka, na której czytam to słowo, nie zwiastuje nic dobrego.

Książka autorstwa generałów von Ahlfena i Niehoffa (pod tytułem So kämpfte Breslau – przypis tłumaczki), wydana pod koniec lat pięćdziesiątych nakładem wydawnictwa Gräfe und Unzer, stoi w ojcowskiej biblioteczce. Pożyczam ją sobie. Na wklejce poznaję pismo babci: „Boże Narodzenie 1959”. W środku znajduję zakładkę. Zrobił ją dziadek w prezencie dla mojego ojca: „Boże Narodzenie 1962”. W 1962 roku miałam jedenaście miesięcy.

Zapamiętałam następującą scenę. Dziadek trzyma książkę generałów von Ahlfena i Niehoffa i mówi coś do mojego ojca. Wygląda to tak, jakby chciał go o czymś przekonać. Nie wiem, o czym mowa, lecz twarze dziadka i ojca, jakby spowite cieniem, wyrażają i powagę, i zakłopotanie, i błaganie. A może to wspomnienie jest tylko wytworem mojej fantazji, powstałym na gruncie tego, czego musiałam doświadczać w dzieciństwie wiele razy – gdy przerywałam ich rozmowy, wchodząc nagle do pokoju? To coś, co dawało się odczuć jako stężona atmosfera, to coś, co sobie niemo perswadowali?

Opieram się o szarobrązowy fotel dziadka. Sztruks o kwiecistym wzorze. Mama i babcia są w kuchni. Dziadek pachnie przytulniej niż tata. Po chwili zapominają, że jestem w pokoju, a może tylko tak mi się wydaje.

Książka Ahlfena i Niehoffa to z pozoru relacja, a w rzeczywistości – rewizjonistyczna propaganda.  Hans von Ahlfen dowodził twierdzą Breslau od 1 lutego do 8 marca 1945 roku, Hermann Niehoff od 9 marca do kapitulacji 6 maja 1945. Mój dziadek. Rocznik 1892. Wcielono go do Volkssturmu w połowie stycznia, dwa tygodnie później „wkroczył” do twierdzy Breslau. A dokładnie: po dwóch dniach samotnej ucieczki przez lasy i śnieg dotarł wreszcie do miasta, które okazało się dla niego ratunkiem. Ale tylko z początku. Dziadkowy egzemplarz książki obydwu generałów jest pełen podkreśleń ołówkiem. Okładkę wybrzuszają przechowywane w środku wycinki prasowe. Na ostatniej stronie dziadek wkleił napisany na maszynie komentarz z datą 18 stycznia 1960. Porównuje w nim opis generałów z własnymi wspomnieniami. Pisze o „wspaniałych żołnierzach” i o przestępcach. Pisze o zbrodniach – ale nie omieszka też podkreślić własnych zasług w walce.

Usprawiedliwienia dla działań wojennych, krążące po 1945 roku. Czuję coś z klimatu, jaki musiał panować w RFN pod koniec lat pięćdziesiątych, tę potajemnie prowadzoną walkę o odzyskanie poczucia własnej wartości, o próbach przywracania go w kręgu najbliższych.

Breslau pojmowano wówczas jako oręż. Materiał: wszystko jedno, jaki. Człowiek nie był kategorią. Miasto – ciśnięty na ziemię hełm, odwrócony do góry dnem. Otwarty jak naczynie. Co za błąd.

Czy w komentarzach nakreślonych na marginesach nierównych pismem dziadka widziałam dręczące go pytania, jego ból? Bezowocne szukanie odpowiedzi?

Zaczęłam znów się zastanawiać. Kategorie takie jak honor walczących i Kameradschaft były mi obce. Dokładnie pamiętam blask w oczach dziadka, gdy opowiadał o przyjaciołach z frontu, listach, a czasem nawet ponownych spotkaniach. Pamiętam przeświadczenie, że dziadek żyje spotkaniami z tamtymi ludźmi, całkowicie dla mnie obcymi.

Dziadek był monarchistą i ojcem niepełnosprawnego dziecka. Od narodowego socjalizmu trzymał się z daleka. Od sierpnia 1939 do jesieni 1944 roku był jedenaście razy wcielany do Wehrmachtu i wysyłany na front. Dziadek, który czego-to-nie-oglądał i czego-to-nie wiedział. Który, przetrwawszy sowiecką niewolę i dotarłszy do „bezpiecznej“ Bawarii, próbował popełnić samobójstwo.

Lecz – który to już raz? – został uratowany.

Późno powstał rozdział, w którym Hannes, mój powieściowy dziadek, zaczyna opowiadać o tym, co nazywa „szalonym pięknem wojennego życia”.

Tutaj można to usłyszeć:

(Übersetzung: Karolina Kuszyk. Deutscher Text: Breslau 1945)

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Kettenreißen https://der-siebte-sprung.de/kettenreissen/?pk_campaign=feed&pk_kwd=kettenreissen Wed, 16 Apr 2014 06:35:07 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=453 ]]> Kettenreißen #7terSprung Ulrike Draesner

 

Kettenreißen: Spiel auf dem Eis: Der Stärkste zieht auf seinen Schlittschuhen los, andere hängen sich an und fahren mit. In der Kette ist es warm und sicher, man muss nicht nachdenken über den Weg. Hintereinander gleiten, so Lilly, vertrieben aus Breslau, an einem See in München, hintereinander gleiten neue und alte Menschen, führen einander an Jacken, Handschuhen und Ärmeln, bis der Vorderste einen Schuh aufkantet, steht. Die Kette rollt sich dank ihrer Beschleunigung von selbst um ihn; das rasende äußere Ende hin­gegen wird weit hinausgerissen, der letzte Läufer schleudert auf den See, dorthin, wo der Eisboden brüchig wird.

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Der mechanische Kaiser https://der-siebte-sprung.de/der-mechanische-kaiser/?pk_campaign=feed&pk_kwd=der-mechanische-kaiser Wed, 02 Apr 2014 09:07:47 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=426 ]]> Wilhelm II und seine Generäle #7terSprung wikipedia.de PD

der mechanische Kaiser: gemeint ist Wilhelm II.; der Ausdruck „der mechanische Kaiser“ entstand, nachdem ich Günther Anders’ Erinnerung an das „Kaisermanöver“ in Breslau gelesen hatte. Anders, der 1966 nach fünfzig Jahren Abwesenheit seine untergegangene Kindheitsstadt besuchte, schreibt (Besuch im Hades, München 1979, S. 87f.):

„Fahren Schweidnitzerstraße und Schmiedebrücke hinunter. Nicht zu glauben, wie kurz die Strecke bis zur Universität ist, die Strecke, für die Vater täglich, wenn er zu seinen Vorlesungen fuhr, gute vierzig Minuten rechnen musste. In den wohl zwanzig Jahren, die er in Breslau zugebracht hat, hat der Ärmste diese Strecke gewiss mehrere tausend Male zurückgelegt, aber immer nur zu Fuß oder in der Elektrischen. Auto? Hätte man ihm im Jahre 1906 prophezeit, dass sein Sohn einmal im Jahr 1966 diese Strecke im ‚Automobil‘, sogar im eigenen, zurücklegen würde, er hätte diese Weissagung für ebenso albern gehalten wie die, dass sein Sohn einmal Bürgermeister von Breslau werden würde. Und ich, sein Sohn, hätte dem Propheten noch weniger geglaubt. Denn für mich waren die ersten Autos damals etwas durchaus Übernatürliches, von dem allerersten, das ich in Breslau gesehen, zu schweigen: denn das war die hochrädrige Triumphkarosse, in der der Kaiser, der zu seinem ‚Kaisermanöver‘ nach Breslau gekommen war, langsam durch die Garten- und die Schweidnitzerstraße schwebte (ich glaube: als Kürassier verkleidet, in riesigen Stulpenstiefeln und mit einem ungeheuren beschweiften Helm…)“.

Bild: wikipedia.de

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Liebichshöhe https://der-siebte-sprung.de/liebichshoehe-7tersprung/?pk_campaign=feed&pk_kwd=liebichshoehe-7tersprung Mon, 31 Mar 2014 08:47:17 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=419 ]]> Breslau Liebighöhe #7terSprung Ulrike Draesner

Liebichshöhe: berühmter Belvedere in Breslau, erbaut 1867. Die Anhöhe war Teil der Breslauer Stadtbefestigung, man promenierte in ihrem halbkreisförmigen Säulengang. Springbrunnen, Restaurant und Aussichtsturm unterhielten die Besucher. Am Fuß der Höhe stand seit 1869 ein Denkmal für Friedrich Schleiermacher. Bevorzugter Ausflugsort an Sonntagnachmittagen. In der sogenannten „Festung Breslau“ vom Januar bis zum Mai 1945 als Gefechtsstand der Wehrmacht genutzt. 1967 stürzte ein Teil der Gebäude während eines Volksfestes ein. Seit 1974 ist das Gelände wieder freigegeben. Zustand heute: Halbruine.

Wie schreibt Günther Anders in seinem Tagebuch am 6.7.1966 – nach fünfzig Jahren Abwesenheit:

„Nicht was nicht mehr da ist, erschreckt, nicht die Lücke, sondern umgekehrt das, was im eigentlich erwarteten Nichts zufällig doch noch da ist.“ (Besuch im Hades, München 1979, S. 53)

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Zobten https://der-siebte-sprung.de/zobten/?pk_campaign=feed&pk_kwd=zobten Sat, 22 Mar 2014 08:30:34 +0000 https://der-siebte-sprung.de/?p=414 ]]> Zobten_Postkarte Wikimedia PD 1920 #7terSprung

Zobten: auch Zobtenberg genannt, polnisch Ślęża oder Sobótka: einzeln stehender Berg, Höhe 718 Meter, 35 Kilometer südwestlich von Wrocław gelegen. Wahrzeichen Schlesiens. Auf dem Gipfel befand sich eine vorzeitliche Kultstätte; der Name der Region, Slensane, soll sich von dem Berg ableiten. Ein Dokument aus dem Jahr 1148 bezeichnet ihn als mons silecii. Heute krönen eine Kapelle, ein Sendeturm und eine Bergbaude den Gipfel. Rundum finden sich heidnische Steinskulpturen: Jungfrau mit dem Fisch, Bär und Eber, die als charakteristisches Symbol des Sonnenkultes die Swastika tragen. Das gesamte Zobtenmassiv besteht nahezu exklusiv aus dunkelgrauem Gabbro, einem Gestein mit granitähnlichen Eigenschaften. Hannes bezeichnet den Berg der blauen Schatten als Haus- und Geisterberg Breslaus. 

Bild: Zobten (Wikimedia, Public Domain)

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