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Die Uhr!© Lucia Draesner
Was „Globalisierung“ ist, könnten Esther, Jahrgang 1996, und ihre beste Freundin Pawani, deren Familie aus Pakistan stammt, vielleicht nicht sagen. Doch die Welt der ständigen Bewegung, in der Menschen stärker um den Globus reisen als Vögel und Waren, irritiert sie.
Ihre Reaktion: „Wir suchten Migrationsleugner. Lange hatten wir uns um Kriterien bemüht. Mindestdauer der geleugneten Migration: sechs Monate. Unglückliches Ende. Alles, was mit Urlaub zu tun hatte, schied von vornherein aus. Gewinnsucht als Motiv war uns am liebsten, hier wurde am besten gelogen. Liebesmigration, Mischehen und internationale Patchworkfamilien interessierten uns ebenfalls, auch in diesen Fällen stritten die Beteiligten die Migrationsbewegung überdurchschnittlich häufig ab, verhielten sich, als sei jahrelanges Pendeln nichts.“
An die Spree reist keine der Figuren in meinem Roman – wohl aber hat meine Recherche zu den Sieben Spüngen mich auf unerwartete Weise nahe an die Stadt geführt, in der ich seit 18 Jahren lebe. Ich entdeckte, dass der Vater meiner (väterlichen) Großmutter in Erkner zur Welt kam. Landkreis Oder-Spree.
Aufgewachsen bin ich an einem kleinen Fluss, der Würm, die in die Isar mündet, die in die Donau mündet, die ins Schwarze Meer fließt. Nun lebe ich in der Nähe eines Gewässers, das sich ebenfalls in west-östlichen Mischlandschaften bewegt. Spree, die Sprühende, sagen die Etymologen. Sie nehmen eine Abstammung des Namens aus dem germanischen spreu̯- = stieben, säen, sprengen, sprühen an. Das germanische Sprēw- soll als Sprěva oder Sprěv’a ins Slawische übernommen worden und von dort als „Spree“ wieder ins Deutsche zurückgewandert sein. Ein reisend-verbindendes Wort, wohl wahr. Auch im Englischen findet es sich – spree bedeutet Gelage, Orgie, Rausch.
Rahmen: von mittelhochdeutsch rame, „Stütze, Gestell“, althochdeutsch „Stütze, Säule“. Im germanischen Sprachgebrauch eng verwandt mit Einfassung und Rand.
„sie lachen ja“: im Roman in Bezug auf Bonobos gesagt, von einem alten Verhaltensforscher. Oder doch einer der Sätze aus dem Repertoire der Kriegskinder?
le Son du Cor: bezogen auf das Gedicht Le cor (Das Jagdhorn) des romantischen französischen Dichters Alfred de Vigny (1797-1863).
Die erste Strophe lautet:
J‘aime le son du Cor, le soir, au fond des bois,
Soit qu‘il chante les pleurs de la biche aux abois,
Ou l‘adieu du chasseur que l‘écho faible accueille,
Et que le vent du nord porte de feuille en feuille.
Bild:« Poemes Vigny 1829 » par Tony Johannot (1803-1852) — http://pagesperso-orange.fr/aaav.site/index.htm. Sous licence Public domain via Wikimedia Commons.
Streesla: schlesisch für „Streusel“. Einfach herzustellen: ein Teil Zucker, ein Teil Fett, zwei Teile Mehl. Aromen nach Belieben. Nicht lange kneten, schön bröselig lassen, zerbröseln, über dem zu dekorierenden Gebäck ausstreuen.
Als alter Mann werde ich glücklich sein: diesen Satz, im Roman gesprochen von Eustachius Grolmann, verdanke ich dem Interview mit Wolfgang Kampen in Sabine Bodes Buch Die vergessene Generation (München 2005, S. 237). Grolmann spricht ihn mit 83 Jahren aus, überzeugt von seiner Wahrheit. Dass er bereits alt sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Das Kriegskind Kampen berichtet: Seine Reise ins Ruhrgebiet damals im Sommer 1945 in überfüllten Zügen „dauerte eine Woche, und einmal war es im Waggon so voll und so eng, dass er über eine lange Strecke den Boden nicht erreichte, weil er zwischen den Mitreisenden eingeklemmt war.“ (S. 236)
Bild: Amsel