Breslau – Wroclaw 1945 (2)

Breslau Wroclaw 1945-heute Ulrike Draesner

(Polski:  Breslau – Wroclaw 1945 Übersetzung: Karolina Kuszyk)

Rauchend, staubig, chaotisch, ein von Menschenströmen durchzogener „Topf“. „Repatrianten“ treffen aus Ostpolen und dem sowjetischen Reich ein, Zuzügler aus Zentralpolen, Heimkehrer aus dem Westen. Durch die Straßen irren nichtvertriebene Deutsche, Zwangsarbeiter, kriegsgefangene Deutsche, befreite Kriegsgefangene der Deutschen, aus Lagern befreite Gefangene des Naziregimes, polnische und sowjetische Soldaten, Polizei und Geheimpolizei, elternlose Kinder und Jugendliche, Alte und Kranke, Menschen mit hybriden, gemischten Herkünften, jeder auf der Suche nach einem, „seinem“ Weg, aufgebrochen und zurückgeworfen, festgehalten, gestrandet, mittellos, zwischen marodierenden Banden von Dieben und Räubern, zwischen Hungernden, Mittellosen, Verletzten verletzt unterwegs.

Viele der ostpolnischen Flüchtlinge stammen vom Land. Sie geraten in eine Stadt, ohne zu wissen, wie Stadtleben „geht“. Andere, aus Lemberg, sind entsetzt über die Menschen, mit denen sie nun zusammenleben sollen. Ich fragte: Wie wurde verteilt? Wie kaufte man ein? Wer organisierte was?

2005 hatte mir ein polnischer Dichterkollege, Tomasz Rózycki, bei einem Poesiefestival in Paris auf dem Hotelflur erzählt, wie seine Familie aus Ostpolen in das deutsche Haus in Oppeln einzog, in dem sie bis heute lebte. Jahrelang war man fremd geblieben, die Fluchtkoffer fertig gepackt unterm Bett. Die Deutschen kehrten gewiss zurück! Man erwartete den Dritten Krieg. Damals, in dem dämmrig-plüschigen Pariser Hotelflur, waren mir die Augen aufgegangen. Was Rózycki sagte, lag nahe, vorgestellt hatte ich es mir nie: das Ankommen in der Wohnung von Fremden. Das Nehmen und das mit diesem Nehmen leben Müssen, die Gefühle des Einkriechens und der Scham, der Not, Wut und Abhängigkeit, die gespenstische Anwesenheit der Bis-eben-Eigentümer.

Leben in einem fremden Kokon.

Die 1945 aus Ostpolen vertriebenen Zeitzeugen, die ich in Wrocław traf, sprachen von ihren Kindheiten in der Ukraine in den 40er Jahren, von Sowjets und Deutschen, von einer endlosen, beängstigenden Fahrt im Sommer 1945 Richtung Westen, über Wochen hinweg, in offenen Güterwaggons mit anderen Menschen, Vieh und Gepäck. Die Ankunft in Wrocław oder den es umgebenden Dörfern indes schien versunken, aufgesogen vom schwarzen, grauen und roten Staub der zerbombten und zerschossenen Stadt, von ihrem Feuerlicht. Mir halfen Fragen nach dem Schwarzmarkt (Szaber) oder nach den Abenteuergefühlen eines Jungen von zehn Jahren, nach dem Spielzeug, das er fand.

Eindrücke auch im Film von Horst Konietzny über diese Recherchereise auf der Seite der Robert-Bosch-Stiftung.

(Bild: Screenshot aus dem Film von Horst Konietzny)